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Die Durchbeißer W ir wissen, dass Schaben glatte Wände hochlaufen können, ja sogar kopfüber unter der Decke ent- lang, ohne herunterzufallen. Wir haben schon mal gehört, dass Schaben bis zu zwei Wochen noch leben, nachdem ih- nen der Kopf abgetrennt wurde und wir spekulieren, dass sie einen Atomkrieg überleben würden. Also nach uns die Schabe. Aber haben wir eine Vorstel- lung, was sie mit ihren Kauwerkzeugen, den Mandibeln, anrichten können? Da Schaben so grob alles fressen, was ihnen zwischen die Kiefer kommt, sind die Freßwerkzeuge nicht besonders spezialisiert und entwicklungsgeschicht- lich relativ primitiv. Das macht sie zu einem idealen Forschungsobjekt. Und da Forscher während ihrer Versuche am lebenden Objekt nicht gerne in zu kleinen Details herumpulen, hat eine Deutsch-Englische Forschergruppe sich dies einmal an der stattlichen Peripla- neta americana, der Amerikanischen Großschabe, angesehen. Die Forscher interessierte die Beiß- kraft der Schaben. Dazu wurden die Tiere auf dem Rücken liegend in einer Mischung aus Guillotine (ohne Messer) und Streckbank eingeklemmt. Wer nun denkt, viele Biologen sind komische Leute, dem stelle ich die Frage „warum erst jetzt?“ Trotz der unnatürlichen Lage, gelang es 300 verschiedene Bissproben über einen Sensor zu erhalten, der den Schaben zwischen die Kiefer geschoben wurde (Bild 1). Mandibeln werden für eine breite Anforderung verschiedener Aufgaben verwendet. Insekten manipulieren da- mit die Nahrung z. B. sehr leicht und drehen und wenden ihr Fressen, bis hin zu starkem Ab- und Zubeißen von harten Gegenständen. Dabei helfen den Schaben die zahnartigen Strukturen auf den Mandibeln, deren zweiter und dritter Vorsprung den scherenden Backenzäh- nen (Molaren) von Carnivoren (Fleisch- fressern) sehr ähneln. Damit ähneln die Mandibeln von Periplaneta americana in ihrer Funktion und Leistung überra- schend sehr, denen von z.B. räuberischen Laufkäfern. Für eine omnivore Schabe ist das ungewöhnlich. Unglaublich hohe Beißkraft In dem geschilderten Versuch ließen sich zwei verschiedene Beißkräfte unterschei- den. Das normale Fressverhalten in dem eher gemütlich, langsam und mit wenig Kraft an etwas herumgemümmelt wur- de. Zwischendurch gab es aber schnelle, lange und starke Bisse, die, setzt man Kraft und Körpergröße zueinander ins Verhältnis, etwa der fünfachen Beißkraft eines Menschen entsprechen würde. Mit diesen Bissen werden dann zähe und harte Materialien traktiert. Etwa Leder oder widerspenstige und trockene Lebensmittel. Damit ist klar, Schaben haben erstaunlich starke Kiefer, wie wir sie sonst nur von Käfern kennen. Bei der praktischen Betrachtung müssen wir also damit rechnen, dass sich Schaben, zumindest theoretisch, auch durch zähe und härtere Verpackungen durchbeißen können. Karton, Kunststoffbeutel und evtl. sogar Verbundfolien sind von daher keine Hürde. Ob sie das dann tatsächlich auch machen, steht auf einem anderen Blatt. Für einen Allesfresser wie unsere Schaben, stellt sich recht schnell eine Kosten-Nutzen Analyse zum benötigten Aufwand und dem Energiegewinn des hart ernagten Nahrungsmittels. Auch die Abnutzung der Mandibel steht einer dauerhaften Benagung harter Substanzen entgegen. Im Versuch haben zwei Amerikanische Schaben so hart zugebissen, dass Teile der Mandibeln ab- gebrochen sind. Das verringert natürlich sofort die individuelle Fitness. Solche wissenschaftlichen Erkennt- nisse mögen für Kollegen durch Beob- achtungen aus der praktischen Arbeit nicht neu sein („…ich habs schon immer gesagt…“). Wenn doch, und sei es nur, die nachwachsenden Talente lesen diesen Artikel, dann haben sie nun eine weitere Erfahrung für die Ursachenfindung in der täglichen Arbeit im Handgepäck. Klassisch werden von Schaben weiche, energiereiche Substanzen be- vorzugt. Wie man hier sehr gut beim Fütterungsversuch von Richard Brenner, einem Entomologen des US Agricultural Research Service sehen kann (Bild 2). DIE EX-PRESS Berufsinformation des DSV e.V. | Wissenswertes Bild 2: Fütterungsversuche mit unterschied- lichen Substanzen. (Bildrechte: US-Amerikanisches Landwirt- schaftsministerium (USDA), Keith Weller) Bild 1: Der Versuchsaufbau. Die Schaben wurden auf dem Rücken in diese kleine Apparatur gespant. Links sieht man den Drucksensor, der den Schaben zwischen die Kiefer geschoben wird. (Bildrechte: Tom Weihmann) Schützen & Erhalten · März 2020 · Seite 83

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