web_SuE_ June_2017

Fachexkursion Nun hatten die Normannen mit ihrem Sieg über die Sarazenen zwar die politische Macht übernommen, kulturell änderte sich zunächst jedoch wenig. Wie die Araber vor ihnen förderten die Normannen Wissenschaft und Kunst und ließen Religionsfreiheit walten. Diese Epo- che der multikulturellen Harmonie spiegelt sich besonders eindrucks- voll in der 1174 erbauten Kathe- drale von Monreale wider. Während die Fassade im schlichten, monu- mentalen normannischen Stil er- richtet ist, sind Wände und Gewöl- be im Inneren der Kirche bedeckt mit feinsten byzantinischen Mosai- ken, die anhand kunstvoller Motive die Heilsgeschichte des Alten und Neuen Testamentes erzählen. Nir- gendwo auf der Welt wird man ein ähnlich prächtig im byzantinischen Stil ausgestaltetes Kircheninneres entdecken können. Und um die Ver- schmelzung der Baustile vollkom- men zu machen, bildet der an die Kathedrale anschließende Kreuzgang mit seiner arabisch-normannischen Ausstattung eine beeindruckend ge- lungene Symbiose aus den Vorgaben der auftraggebenden nordischen Herrscher mit den baulichen Tradi- tionen der ausführenden nordafri- kanischen Handwerker. Dieser Mischung aus norman- nisch-byzantinsch-arabischer Archi- tektur begegnet man in Palermo auf Schritt und Tritt. Als Beispiel mögen die Kirchen San Giovanni degli Ere- miti und San Cataldo dienen, beide sind gekrönt von einer Reihe auf kubischen Türmen sitzenden roten Kuppeln. Und auch der Dom von Ce- falù zeigt, wie sehr beide Völker ihre typischen Stilelemente miteinander verschmolzen haben. Ob Säulen, Böden oder Wände – überall verei- nigen sich byzantinische Symbole mit arabischen Ornamenten und ma- chen somit die normannische Bau- kunst zu einem unvergleichlichen Meisterstück frühmittelalterlicher Architektur. Als dann 1215 der norman- nische Staufer Friedrich II. zum deutschen König und 1220 zum rö- mischen Kaiser gekrönt wurde, war Sizilien auf dem Höhepunkt seiner politischen Bedeutung. Mit dem Staufer fand aber auch die „mul- tikulturelle“ Mixtur der verschie- denen Baustile ihr abruptes Ende. Die baulichen Ziele des neuen Herr- schers bestanden nun in der Errich- tung trutziger Kastelle, Festungen und Burgen. Barock auf Sizilien Wer auf Sizilien nach Relikten der Renaissance sucht, wird feststel- len, dass man diese Stilepoche ge- radezu übersprungen hat, um von der Hochgotik nahtlos ins Barock überzuwechseln. Dieser findet sei- nen Ausdruck in prunkvollen Palazzi, prächtigen Kirchen und imposanten Häuserfassaden, entstanden als Fol- ge der verheerenden Zerstörungen, mit denen das Erdbeben von 1693 im Südosten Siziliens die Bausub- stanz einer ganzen Region vernich- tete. Ganze Städte wurden nun im Stil des sizilianischen Barocks wie- deraufgebaut. Einer der herausra- genden Baumeister dieser für die Baukunst so glanzvollen Zeit war Rosario Gagliardi, hauptverantwort- lich für den Wiederaufbau der Stadt Noto, die vielleicht beeindruckenste der acht spätbarocken Städte des Val di Noto, die allesamt aufgrund ih- rer besonderen Architektur von der UNESCO 2002 zum Weltkulturerbe erklärt wurden. In Noto hat man das Gefühl, man betritt ein barockes 1 Wie ein Adlerhorst thront das mittelalterliche Erice auf dem 750 Meter hohen gleichnamigen Berg. Von dort bietet sich eine grandiose Sicht auf das Landesinnere und das Mittelmeer. 2 Von außen im typischen sizilia- nischen Chiaramontestil des 14. Jahrhunderts errichtet, wirkt der Dom von Erice wie eine Festung. 3 Ein Kontrapunkt zum Äußeren, den man so nicht erwartet – das im In- neren mit einem kunstvoll filigranen Netzgewölbe überspannte Kirchen- schiff aus dem 19. Jahrhundert. 4 Im schlichten, monumentalen nor- mannischen Stil errichtet, versetzt die Kathedrale von Monreale ihre Besucher im Inneren in ungläubiges Erstaunen. Nirgendwo auf der Welt wird man einen ähnlich prächtig im byzantinischen Stil ausgestalteten Kirchenraum entdecken. 5 Gleicht einer Mondlandschaft – Besichtigung der Kraterlandschaft des Ätnas auf 2500 Meter Höhe 6 Anschauungsunterricht – Sanie- rungsarbeiten am Glockenturm der Kathedrale von Monreale Schützen & Erhalten · Juni 2017 · Seite 40 1 3 4 5 2 4 6