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Schützen & Erhalten · September 2018 · Seite 72 I Die Ex-Press I Berufsinformation des DSV e.V. | Branchenthema Kunstschätze im Wert von über 700 Mio. Euro in Deutschland gefährdet S tickstoff ist für den Gesetzgeber ein Biozid. Das ist überraschend, das ist Unfug und das ist nicht neu. Bereits in 2011 wurde in den Anhang I der EU Richtlinie 98/8/EG unter Nr.27 der Stickstoff als Wirkstoff eingefügt und damit als zulassungspflichtiges Biozid definiert. Angeblich geschah diese Gesetzesänderung auf Antrag für Stickstoff aus Gasflaschen per Uni- onszulassung. Also die Anerkennung eines bereits zugelassenen Biozides aus einem anderen EU-Land. In diesem Fall aus Großbritannien. Wäre uns da schon allen das mit dem Brexit klar gewesen. Na ja. Knapp zwei Jahre später dann die nach Gesetzestext folgerichtige Zulassung aus Dortmund. Eine solche Entscheidung verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass damals das ganze Zulassungsverfahren noch neu und unausgereift war. Viele neue Mitarbeiter wurden frisch von der Uni eingestellt. Wer will einem fleißigen, aber noch nicht routinierten Berufsan- fänger ankreiden, wenn er sich auf die Kompetenz im Ausland verlässt? Ein Blick in die Zulassungsbedingun- gen überrascht dann doch. Wurde unter Außerachtlassung gängiger naturwissen- schaftlicher Kenntnisse, aber verfahrens­ konsequent, der Stickstoff als Wirkstoff behandelt, wurde diesem eine biozide Potenz nur in Kombination von weniger als 0,1% Sauerstoff zugesprochen. Bitte? Bei der Erstlektüre haben wir dann doch kurz vermutet, dass sämtliche Ausgaben in unser Schnelllesetraining zur Erfassung wesentlicher Inhalte einer Publikation, zum Fenster herausgeworfen waren. Aber auch nach mehrfacher langsamer Lektüre bestätigte sich unsere zuerst gewonnene Information. Stickstoff ist nur dann ein Biozid, wenn er zum Fluten einer bereits tödlichen Atmosphäre verwendet wird. Das klingt jetzt so, als würde man einen Rodentizidköder aus 100% gedrechsel- tem Balsaholz zulassen, der Nager aber nur in Anwesenheit eines Marders ( Mar- tes foina ) zuverlässig abtötet. Oder dass man eine kalorienfreie Holzspanpaste als Biozid zulässt, die Nager, in Abwesenheit jeglicher verwertbarer Nahrung, zuverläs- sig verhungern lässt. Der Fachwelt war es egal Keiner – außer der Antragstellerin für N 2 als Biozid – benutzte Stickstoff aus Fla- schen zum Schutz von Antiquitäten und Holzgegenständen. Von daher brachte die Zulassung 2013 niemanden in Wallung. Gegen holzzerstörende Insekten wurden und werden bevorzugt Tox-Begasungen oder Wärmeverfahren eingesetzt. Ledig- lich dort, wo die fragile Natur der Kunst- gegenstände Erwärmung nicht verträgt (etwa bei Farbaufträgen, Bildern), und die klassischen toxischen Gase im Ver- dacht stehen, mit dem Behandlungsgut zu reagieren, werden andere (anoxische) Verfahren angewendet. Man bezeichnet solche Anwendungen als „Kontrollierte Atmosphäre“ Begasungen. Unter dem fälschlichen Namen „Stickstoffbehand- lung“ hat dieses Verfahren Einzug in die Holzschutzbehandlungen gefunden. Sol- che Atmosphäre wird aber nicht durch die Zugabe von Stickstoff erreicht. Die Membrangeräte entziehen in einem ver- siegelten Behandlungsvolumen der an- fangs normalen Umgebungsluft per Ab- scheideverfahren den Sauerstoff. Dadurch – Achtung, das ist jetzt wichtig – steigen prozentual ALLE anderen Bestandteile der Luft. Also im Wesentlichen Stickstoff, aber auch Argon und Kohlenstoffdioxid. Man hat also faktisch gar keinen Wirk- stoff (N 2 ) zugeführt! Bei der Zugabe ei- nes bioziden Wirkstoffes (N 2 ) aus der Fla- sche, um Sauerstoff zu verdrängen, würde nur der Stickstoff prozentual zunehmen, während sich alle anderen Luftbestand- teile verringern. Die Fachwelt war sich einig Diese Lesart wurde und wird von allen Koryphäen der Branche vertreten. Nun ist aber ein Anbieter eines Wärmeverfahrens … ja was? Eifersüchtig geworden? Auf jeden Fall wurden verschiedene Dienst- leister des „Kontrollierten Atmosphäre“ Verfahrens per einstweiliger Verfügung abgemahnt. Über den Eilantrag beraten noch die Gerichte. Was an der Abmah- Besonders alte Farben vertragen weder Wärme noch reaktive Begasungsmittel Bildrechte: Lee Seonghak

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