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Schützen & Erhalten · September 2018 · Seite 73 Die Ex-Press Berufsinformation des DSV e.V. | Branchenthema nung verwundert ist, dass gerade die zuvor genannten Gemälde von der An- tragstellerin der einstweiligen Verfügung, zur Behandlung mit Wärme ausdrücklich abgelehnt wurden. Es sei zu gefährlich, dass Farben in Mitleidenschaft gezo- gen werden könnten. Das Verfahren ist in den Fällen ungeeignet. Warum bitte hält man dann einen funktionierenden Markt mit einem völlig sinnlosen An- trag auf Unterlassung an? Das wird ein Mysterium der Antragstellerin bleiben. Im Ergebnis haben nun alle Betreiber solcher Abscheideanlagen erst mal ihre Tätigkeiten eingestellt. Käfer nagen mit dem Zahn der Zeit um die Wette Während sich Beteiligte über semantische Auslegungen von Rechtsnormen strei- ten, hat die auf Nummer sicher gehende Fachwelt aus Eigentümern, Verwaltern und Dienstleistern keine Möglichkeit, die empfindlichen Kunst- und Kulturgütern vor Käferfraß zu schützen. Ungefähr seit sechs Monaten. In so einem Zeitraum schafft ein Splintholzkäfer im Rahmen ei- nes Picasso richtig Strecke. Und Eier. Und multipliziert das Problem. Selten ließ es sich in unseren Burgen, Schlössern und Museen für Käfers so gut leben. Wenn wir andächtig vor alten Meistern stehen und der Autolyse tatenlos zusehen, kann man ganz leicht das Klingen winziger Sektgläser hören. Zumindest kommt es dem frustrierten Betrachter so vor. Es tut weh, wenn von den bisher geschätztem 723 Millionen Euro an betroffenen Kunst- werten jeden Tag einige Euro mit Klau- en und Mandibeln abgeschabt werden. Dringendes Handeln ist gefragt. Biozidzulassungen sollen uns schützen Das Stoffe zugelassen werden, dass sie dabei auf Wirksamkeit im Sinne der An- wendung und auf Riskien für Mensch, Tier und Umwelt geprüft werden, war eigentlich seit Jahrzehnten überfällig. Wir sollten froh sein, dass es nun soweit ist. Es ist auch noch nachvollziehbar, dass der- selbe Stoff verschiedene Verwendungen findet und damit ein Stoff im Rahmen seiner Indikation als giftig deklariert wird. Etwa bei Vitamin D3 (Cholecalciferol). Im Lebensmittel als Nahrungsergänzungsmit- tel, bringt es in zu hoher Konzentration den Kalziumhaushalt von Zielorganismen letal durcheinander. Zulassung berechtigt, nachvollziehbar, sinnvoll. Dass die Lebensmittelzutat E941 (Stick- stoff) als „grundsätzlich vollkommen harmlos für den Menschen“ beschrieben wird, ist ebenfalls nachvollziehbar. Wenn wir Lebensmittelzutaten in Tötungsab- sicht einsetzen, müssen diese folgerichtig als Biozid zugelassen werden. Nur, man kann mit Stickstoff kein Lebewesen tö- ten. Unter normalen Druckverhältnissen, also ohne dass etwa Partialdrücke im Blut verändert werden, wie es beim Tauchen geschieht, ist Stickstoff völlig harmlos. Wir atmen Stickstoff, er ist um uns, in uns und nimmt nirgendwo physiologisch an unse- ren Lebensprozessen teil. Auf die erteilte N 2 -Zulassung lässt sich ein Ausspruch mei- nes Mathematiklehrers übertragen. Kopf- rechnen? Ja, kannst du. Schnell aber falsch. Was ist eigentlich ein Goccha? Goccha (auch Gotcha) ist eine Verballhor- nung aus dem Englischen für „got ya“ und meint „hab dich“. Damit ist der Zu- stand einer Zwickmühle gemeint, wenn man weder vor noch zurück kann, weil man mit dem Rücken an der Wand steht. So geht es gerade der Zulassungsbehör- de. Nur so kann man erklären, dass auf die bisherige Intervention von Kommu- nen und Verbänden zwar Bewegung in die Bewertung von N 2 als Biozid gekom- men ist, aber man kann ja eine Zulassung nicht einfach entziehen. Die favorisier- te Idee der BAuA ist, die einmal erteilte Zulassung in 2021 einfach auslaufen zu lassen. Dann würde eine Rezertifizierung verweigert mit dem Hinweis, dass N 2 kein Wirkstoff und demnach nicht zulass- bar ist. Öhm, wenn man diese Erkennt- nis heute schon hat, dann ist Stickstoff auch heute schon kein Wirkstoff. Aber eigentlich ist auch diese Diskussion völlig unnötig. Für Stickstoff in Flaschen kann es gerne eine (überflüssige) Zulassung geben. Man muss bei der Behörde nur Differenzieren zwischen dem Zuführen eines Stoffes und dem Abscheiden ei- nes anderen (!) Stoffes. Schon hat man an bestehenden Zulassungen nichts ver- ändert und hat sich von naturwissen- schaftlichen Erkenntnissen inspirieren lassen. Nach dem Paternoster-Gate des BMAS könnte man mit einer sachlichen und mutigen Abgrenzung der beiden unterschiedlichen Holzschutzverfahren das Vertrauen in die Kompetenz einiger Institutionen wieder erhöhen. Wenn Deutschland nicht ein zweites Kölner Stadtarchiv seiner Kunstschätze erleben möchte, muss hier umfassend, klug und vor allem schnell von allen beteiligten Behörden gehandelt werde. Bitte, bitte enttäuschen Sie die Bürger und ohnehin frustrierten Wähler nicht. Bildrechte: Lee Seonghak In den Rahmen neuzeitlicher und klassischer Bilder fressen Insekten. Die Abtötung er- folgt durch den Entzug von Sauerstoff. So könnten bald Museen aussehen, wenn keine schnelle und pragmatische Lösung zur Entwesung gefunden wird. Bildrechte: Danielle Papanikolaou
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