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Schützen & Erhalten · Dezember 2017 · Seite 28 Fachbereiche Schimmelpilze von freiem Wasser im Baustoff ist abhängig von den Stoffeigenschaften wie Zusammensetzung, Kapillarität und Schichtung. Wird Wasser durch Kapillarkräfte absorbiert und somit physikalisch fixiert, so steht es nicht als freies Wasser zur Verfügung und wird auch nicht als freies Was- ser erfasst [12, 13]. Und so funktioniert die Kapillaraktivität: Die Wassermoleküle diffundieren aufgrund eines Wasserdampfdruckgefälles in den Baustoff und kollidieren dort mit freien Bindungspunkten an inneren Oberflächen. Bei kapillaraktiven bzw. kapillarporösen Baustoffen mit großen inneren Oberflächen werden besonders viele Moleküle adsorbiert, dabei geben sie ihre kinetische En- ergie ab. Das ist ein exothermer Vorgang (also energetisch bevorzugt), es wird die Adsorpti- onsenergie (4–40 kJ/mol) freigesetzt. Die da- bei entstehenden physikalischen Bindungen beruhen auf Van-der-Waals-Wechselwirkungen. Sollen die Wassermoleküle wieder von der inne- ren Oberfläche abgelöst werden, muss Energie zugeführt werden, in der Regel in der Größen- ordnung der Bindungs- bzw. Adsorptionsener- gie, z. B. durch Temperaturerhöhung. Um 1 mol Wassermoleküle wieder ablösen zu wollen, wird eine Temperaturerhöhung von maximal 9 K be- nötigt. Mit der Desorption, also der Freigabe der physikalisch fixierten Wassermoleküle, er- höht sich der Partialdampfdruck und die Was- seraktivität steigt im kapillaraktiven Baustoff an [12, 13, 14]. Je nach Zusammensetzung und Struktur des Baustoffes kann das Erreichen kritischer Wasser- aktivitäten um mehrere Stunden verzögert wer- den. Auch die Rücktrocknung (Entlüftung) ist von Bedeutung. Hier sollte der optimale Bau- stoff schnell einen unterkritischen a W -Wert errei- chen und gleichzeitig den Gesamtwassergehalt reduzieren. Untersuchungen haben gezeigt [3], dass bei ausreichendem Gradienten (hinreichend trockener Luft) innerhalb einer Stunde unterkri- tische Werte erreicht wurden. Aus der Praxis bekannt und in zyklischen Belastungstests bestätigt ist jedoch, dass bei dauerhaft hoher Feuchtebelastung die Rücktrock- nung nicht mehr ausreichend stattfinden kann und so Schimmelwachstum ermöglicht wird. In Laborexperimenten konnte gezeigt werden, dass der Gesamtwassergehalt der Baustoffe aber auch mit einiger Verzögerung die Wasseraktivität in kritische Bereiche anstieg und in (zu) kurzen Entlastungsphasen nicht mehr gesenkt werden konnte. Heizen und Lüften sind also nach wie vor notwendig, insbesondere damit sich der Baustoff wieder vom Wasser befreien kann. Am Markt finden wir derzeit drei große Pro- duktgruppen, die als kapillaraktiv beworben werden: Dickbeschichtungen, Klima- bzw. Anti- Schimmelputze (nein, keine Sanierputze – das ist etwas anderes) und Klimaplatten. Alle drei Produktgruppen wirken wie bereits beschrieben, auch mit den dargestellten Einschränkungen. Bei Klimaplatten ist zudem deren Wirkung als Innendämmung mit den damit verbundenen Anforderungen an Bauphysik und Verarbeitung zu beachten (siehe hier auch DHBV-Merkblatt Innendämmung). Die Dickbeschichtungen und Klimaputze sind da deutlich fehlertoleranter. Schimmelgerechtes Bauen Wenn Schimmelresistenz nur ein temporärer Zustand ist und nur solange aufrechterhalten werden kann, wie eine biozide Ausstattung vorhanden und wirksam ist oder aber physika- lisch wirkende Baustoffe ein entsprechendes Mi lieu vorfinden, in welchem eine Feuchteabgabe möglich ist, wird klar, dass zum schimmelfreien Wohnen wohl mehr gehören muss. Das bedeu- tet, dass neben der schimmelgerechten Materi- alauswahl auch feuchtegerecht konstruiert und gebaut werden muss. Das versucht der Begriff „Schimmelgerechtes Bauen“ zu umfassen. Eigent- lich könnte man auch „Feuchtetolerant“ sagen, denn das Gesamtsystem Innenraum/Wohnung muss so eingestellt sein, dass es gelegentlich auftretende Feuchtelasten, unabhängig davon, ob nun durch Nachlässigkeit entstanden oder unvermeidbar, verzeihen kann. Das umfasst ne- ben den Themen, Planung und Konstruktion, Bauausführung, Auswahl der Baustoffe auch flankierende Maßnahmen wie die Ertüchtigung von Abdichtungen, Planung von Dämmmaßnah- men oder die Erstellung von Lüftungskonzepten. Zusammenfassung Schimmelresistente Baustoffe sind möglich, es gibt vielfältige Möglichkeiten, Baustoffe so zu designen, dass zumindest kurz- bis mittelfristig ein Bewuchs mit Mikroorganismen unterbunden werden kann. Allerdings ist die Wirkung limi- tiert, nämlich: 1. Hohe pH-Werte bieten keinen Schutz vor Schimmelpilzbefall. Die Pilze passen sich in ihrem Stoffwechsel und ihrer Morpho- logie der Alkalität der Baustoffe an. Unter Umständen führt das dazu, dass hohe Zell- dichten bei unauffälligem Befallsmuster anzutreffen sind [1]! 2. Fungizid ausgestattete Baustoffe entfalten ihre Wirkung als Freisetzungssysteme nur unter Feuchtelast. Ihre Anwendung macht daher nur Sinn, wenn aufgrund nicht zu beseitigender Umstände immer wieder hohe Feuchtelasten auftreten. Allerdings verbrauchen sich die Fungizide während ihrer Aktivität, d.h. der Schutz ist nur temporär! [6, 15] 3. Photokatalytische Innenbeschichtungen sind gut geeignet, um Gerüche abzubau- en. Als Hygienebeschichtungen können sie wirksam gegen Bakterien sein. Eine Wir- kung gegen Pilze ist nicht gegeben, es kann sogar sein, dass durch den Abbau von organischen Stoffen Pilzwachstum ge- fördert wird, da mehr Nährstoffe bereitste- hen! [10, 11] 4. Kapillaraktive und feuchtepuffernde Bau- stoffe können in der Tat das Zeitfenster bis zum Schimmelpilzbefall verschieben, allerdings nicht beliebig und schon gar nicht ohne Regeneration der feuchtepuf- fernden Eigenschaften. Ohne Lüften ist ein Versagen vorprogrammiert! [3, 15] 5. Nicht zu vergessen der Zeitfaktor: Bau- stoffoberflächen werden bei Lagerung, Nutzung und auch während der Stand- zeiten konditioniert, mit Staub und Ae- rosolen überzogen. Das führt früher oder später dazu, dass die ursprüngliche Ober- fläche und damit die schimmelresistente Wirkung nicht mehr existent sind. Bei der Auswahl ist daher immer zu beachten, ob der ausgewählte Baustoff überhaupt zu der erwarteten Feuchtelast und der Nutzung passt. Schimmelresistenz funktioniert nicht ohne flan- kierende Maßnahmen, sonst wird auch der bes te Baustoff in seiner Funktionalität überlastet. Literatur 6. Messal, Constanze: Schimmelresistente Baustoffe, 2. Deutscher Schimmelpilztag Neuss 2016, Tagungsband 7. Riesner, Katrin: Vermeidungsstrategien für Tauwas- ser-und Schimmelpilzrisiken in Außenwandgefachen, verursacht durch natürliche Konvektion in der Däm- mung: [Abschlussbericht zum Forschungsprojekt]. Fraunhofer IRB Verlag, 2010 8. Messal, Constanze: Möglichkeiten und Grenzen feuchteadaptiver Baustoffe in der Altbausanierung zur Vermeidung von Feuchte- und Schimmelpilz- schäden, in Altbausanierung 10: Schadenfreies Bau- en – Wunsch oder Realität? Fraunhofer-IRB-Erlag, 2015, S. 173–182 9. Brill, Holger: Mikrobielle Materialzerstörung und Materialschutz, Gustav Fischer Verlag, Jena 1995 10. Messal, Constanze: New biodeterioration evaluation methods for façade coatings, surface coatings inter- national, vol. 92, no3, 2009, 113–116 11. Messal, Constanze: Testing dry film biocides – are we going the right way?, Chemistry Today, vol. 29, no3, 2011, 36-43 12. VERORDNUNG (EU) Nr. 528/2012 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwen- dung von Biozidprodukten 13. Brenner, Thomas: kümmerliche Keimkiller: Farbe und Lack 06/2010, Vincentz Verlag 14. EHEDG Document No. 8: Gestaltungskriterien für hygienegerechte Maschinen, Apparate und Kompo- nenten, 2. Auflage, April 2004 15. Tiller, J.C.: Antimikrobielle Oberflächen – der ewige Kampf zwischen Natur und Materialwissenschaften, 9.ThGOT Tagungsband, Innovent Jena 2013 16. Warkentin, Mareike; Schumann, Rhena and Messal, Constanze: Faster Evaluation: European Coatings Journal 09/2007, Vinzentz Verlag, 2–10 17. Lohmeyer, Gottfried: Praktische Bauphysik. Stutt gart: Teubner Verlag, 1995 18. Inglezakis, Vassilis; Poulopoulos, Stavros: Adsorpti- on, Ion Exchange and Catalysis: Design of Operations and Environmental Applications: Elsevier Verlag 2006 19. Atkins, Peter; De Paula, Julio: Physikalische Chemie: WILEY VCH, 2013 20. Messal, Constanze; Warkentin. Mareike and Schu- mann, Rhena: Using Light as a Biocide: European Coatings Journal 11/2007, Vinzentz Verlag, 32–40 21. Messal, Constanze: Auf feindlichem Gebiet siedeln. Mikrokoloniale Pilze an Fassaden und in Innenräu- men, B+B 3/ 2015
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