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Schützen & Erhalten · Dezember 2022 · Seite 36 FACHBEREICHE I SCHIMMELPILZE deutlicher Abwehrschwäche. – Schimmelpilzinfektionen (Mykosen) mit kritischen bis fatalen Verläufen nehmen bei kritisch Erkrankten auf Intensivstationen zu [25]. – Abwehrsystembeeinträchtigende Behandlungen werden zunehmend im ambulanten Bereich durch- geführt; das bedeutet, dass die Betroffenen nicht mehr in ihrem Lebensalltag durch Infektionsschutz- maßnahmen, wie sie in den Kran- kenhäusern durchgeführt werden, geschützt sind. Hier entwickelt sich ein zunehmendes Risiko für die Betroffenen. Nach heutigem Kenntnisstand sind Reizungen/Irritationen der Schleimhäute der Augen und Atemwege sowie aller- gische Reaktionen und Erkrankungen bei Feuchte-/Schimmelbefall am häu- figsten. Prinzipiell können alle Schim- melpilzarten Allergien auslösen. Eine Innenraum-assoziierte Sensibilisierung gegenüber Schimmelpilzallergenen liegt in der Bevölkerung in Deutschland durchschnittlich bei 5–10 % vor, wobei eine Sensibilisierung nicht mit einer Allergie gleichzusetzen ist, sondern eine notwendige Vorstufe zur Entwicklung einer Allergie sein kann. In Deutschland haben 4,2 % der Bevölkerung (dies entspricht 3,5 Millionen Menschen) ein medikamentös behandlungsbedüftiges Asthma [26]. Dabei sind Frauen häufiger betroffen als Männer (7,1 % vs. 5,4 % bei einer 12-Monatsprävalenz gemäß [27]). Infektionen treten im Regelfall nur bei Personen auf, deren Abwehrsystem lokal oder generell herabgesetzt ist. Die Inzidenz invasiver Aspergillosen wird in Deutschland [28] wie in Dänemark [29] auf 5,1/100.000 geschätzt, in Schweden [30] liegt sie mit 3,0/100.000 etwas nied- riger, in Norwegen [31] mit 5,3/100.000, in Belgien [32] mit 6,08/100.000 und in den Niederlanden mit 7,7/100 000 [33] gering bis deutlich höher. Ungefähr 50 % der Fälle invasiver Pilzinfektionen werden zu Lebzeiten bei den betroffenen Patient*innen nicht entdeckt. Invasive Pilzinfektionen gehö- ren zu den am häufigsten übersehenen Todesursachen bei Intensivpatienten [34]. Es muss davon ausgegangen werden, dass invasive Pilzinfektionen zuneh- men, da Anzahl und Heterogenität der Risikopatient*innen für invasive Pilzinfektionen zugenommen haben. Zusätzlich wurden neue Risikogruppen (vgl. nächsten Punkt) identifiziert [34] Mitinfektionen durch Schimmelpilze bei Patient*innen mit ausgeprägten Verläufen einer Infektion mit Influenza (Virusgrippe) [35-40] oder einer Infektion mit SARS-CoV-2 (COVID-19) [40-48] sind hinreichend belegt. Da Expositions-Wirkungsbeziehungen nicht quantifizierbar sind, gibt es keine gesundheitsbezogenen Grenzwerte. Bei Verdacht auf eine Innenraumbelastung durch Feuchte/Schimmel gilt gemäß des Vorsorgeprinzips, die Exposition mit Feuchte-/Schimmelbefall zu beseitigen, mindestens jedoch zu minimieren. Besonders zu schützende Personen mit einem erhöhten gesundheitlichen Risiko durch Feuchte-/ Schimmelbefall im Innenraum sind: – Personen mit Abwehrschwäche – Personen mit schwerer Influenza- und/oder SARS-CoV-2-Infektion – Personen mit Mukoviszidose (Zysti- scher Fibrose; Erbkrankheit, welche die Produktion eines zähen Sekrets durch die Drüsen der Haut und inneren Oberflächen verursacht) – Personen mit Asthma bronchiale Für die USA werden die jährlichen Ge- samtkosten für die Gesellschaft, die auf Feuchte-/ Schimmelschäden zurückzu- führen sind, auf 3,7 (2,3–4,7) Milliarden US-Dollar für allergische Rhinitis, 1,9 (1,1–2,3) Milliarden US-Dollar für akute Bronchitis, 15,1 (9,4–20,6) Milliarden US-Dollar für Asthma-Erkrankungen und 1,7 (0,4–4,5) Milliarden US-Dollar für die Asthma-Sterblichkeit geschätzt [49]. Solche Daten liegen unseres Wissens weder für Europa noch für Deutschland vor. Notwendiger zeitnaher Hand- lungsbedarf: Die sich stetig vergrö- ßernde sozio-ökonomische Spaltung der Gesellschaft ist zu überwinden. Menschen, die armutsgefährdet sind, sind stärker dabei zu unterstützen, geeigneten Wohnraum zu finden und ihren Wohnraum gesund zu nutzen. Die gegenwärtig steigenden Heizkosten sind bei Sozialleistungen außerhalb der Grundsicherung (insbesondere dem Wohngeld) zu berücksichtigen. – Es ist zu vermeiden, dass es zu Gassperren in den kommenden Wintermonaten kommt. Sozialwoh- nungen sind zu erhalten. Sozialer Wohnungsbau ist adäquat zu för- dern. Bezahlbarer Wohnraum ist zur Verfügung zu stellen. Die Steigerung der Mieten ist zu begrenzen. Die sozialräumliche Verteilung von Um- weltbelastungen und -ressourcen in Deutschland ist zu analysieren und gerechter zu gestalten. Der Zusam- menhang zwischen Armutsgefähr- dung und vermehrtem Auftreten von Feuchte-/ Schimmelschäden ist genauer zu untersuchen, um entscheidende Präventionsmaß- nahmen ermitteln und umsetzen zu können. Indikatoren der Armutsge- fährdung für gesundheitliche Risiken von Feuchte-/Schimmelschäden im Wohnumfeld sind in die medi- zinische Aus-, Fort- und Weiterbil- dung sowie Patientenbetreuung zu implementieren. Die vom Netzwerk Schimmelberatung Deutschland zusammengetragenen Fakten sind unter den aktuellen Bedin- gungen von besonderer Tragweite und verdeutlichen, warum beispielsweise in den sozialen Netzwerken die Angst vor einer Schadenswelle umgeht. Regelmä- ßig wird darüber diskutiert, wer dann für die Schäden haftet und die Sanierungs- kosten trägt. (Ende des Originalartikels) Schlechte Luft? Lösungen gesucht! Selbst wenn es mit Energiepreisbremse gelingt, einen Teil der Kosten abzufedern, bleibt dennoch die Befürchtung, dass das Bedürfnis nach einer Heizkostenersparnis die Lüftungsinitiative übersteigt und es vermehrt zu kondensationsbedingten Schimmelschäden kommt. Es wird da- her in den nächsten Monaten verstärkt darum gehen, Schäden zu erfassen, sie zu beseitigen aber auch Mieter und Vermieter zu beraten und damit Schäden vorzubeugen. Ein Full-Time-Job für die Sachverständigen und ausführenden sachkundigen Sanierungsfirmen.

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