S&E Glossary
ARBEITS- UND SOZIALRECHT Zu Unrecht gezahlte Sozialversicherungsbeiträge Mitarbeitende Familienangehörige zahlen oft zu Unrecht Sozialversicherungsbeiträge – und bekommen im Ernstfall keine Leistungen Sozialversicherungsbei- träge zahlen, ohne einen Leistungsanspruch zu er- werben? In Deutschland leider durchaus üblich. Betroffen sind vor allem mit- arbeitende Familienangehörige, die davon ausgehen, wenn sie einen steuerlich anerkannten Arbeitsvertrag abgeschlossen haben und ihnen der Betrieb nicht gehört, seien sie wie alle anderen Angestellten auch so- zialversicherungspflichtig. Gut- gläubig zahlen sie oft jahrzehn- telang Beiträge zu Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Doch wenn es zum Versicherungsfall kommt, etwa bei Insolvenz oder Berufsunfähigkeit, flattert nicht selten ein Ablehnungsbescheid ins Haus. Dann bleibt nur noch die Rückforderung der Beiträ- ge – angesichts diverser miss- verständlicher Formulare ein mühsames Geschäft. Doch wie kann es zu dieser Sozialversicherungsfalle kom- men? Die Zuständigkeiten fallen im System der Sozialver- sicherung auseinander. Kranken- kassen ziehen die Beiträge ein, prüfen aber so gut wie nie, ob sie zu Recht entrichtet werden. Betriebsprüfer prüfen stichpro- benartig nur, ob die Beiträge in der richtigen Höhe abgeführt wurden. Erst, wenn der Betrof- fene Leistungen beantragt, wird das Beschäftigungsverhältnis unter die Lupe genommen. So will die Agentur für Arbeit (frü- her: Arbeitsamt) unter Frage 11 im Antrag auf Insolvenzgeld wissen, ob der Antragsteller ein Familienangehöriger seines frü- heren Arbeitgebers ist. Wenn ja, folgt häufig die Ablehnung von Leistungen. Der Grund: Leistun- gen bekommt nur, wer sozial- versicherungspflichtig war. Der Sozialversicherungspflicht unter- liegen Personen, die nichtselb- ständig in einem Arbeitsverhält- nis beschäftigt sind. Anhaltspunkte für eine Beschäf- tigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliede- rung in die Arbeitsorganisati- on des Weisungsgebers. Defini- tionen existieren nicht. Verwandte des Betriebsinhabers sind aber häufig nicht abhän- gig und daher auch nicht sozi- alversicherungspflichtig. Die Sozialversicherung dient zum Schutz der schwächsten Beteiligten am Wirtschaftsleben. Dies waren traditionell vor al- lem Arbeiter und Angestellte, deren einziges Kapital die ei- gene Arbeitskraft darstellte und die eine Entlassung oder schwe- re Krankheit ebenso unvorbe- reitet wie unabgesichert traf. Unternehmer hingegen besitzen Sachwerte wie die Produktions- stätte und -mittel und treffen Statusentscheidungen selbst. Ihnen sollte das Solidarsystem nicht zugute kommen. Vor die- sem Hintergrund wird deutlich, weshalb im Versicherungsfall bestimmten Betroffenen Lei- stungen verweigert werden: Familienangehörige des Unter- nehmers unterscheiden sich oft von fremden Angestellten. Durch ein Darlehen oder eine Bürg- schaft wird etwa die für Ver- waltungsarbeiten angestellte Ehefrau rasch zur „Mitunterneh- merin“. Auch gehört nicht sel- ten das Gebäude, in welchem sich die Werkstatt oder das Büro befindet, zumindest teilweise auch der Frau des Betriebsin- habers. Wenn sie dann auch noch gelernte Bankkauffrau, Steuerfachgehilfin oder ähnli- ches ist, unterliegt sie als „fak- tische Geschäftsführerin“, Bü- roleiterin oder Managerin des „Papierkrams“ oft durch über- legenes Fachwissen oder wegen familiärer Verbundenheit bei ihrer Tätigkeit keinen Weisun- gen. Ähnliches gilt für die Kin- der, die im Betrieb mitarbeiten, sich vielleicht schon auf die spätere Übernahme vorbereiten und bestimmte Geschäftsberei- che eigenverantwortlich ausbau- en. Verwandte müssen auch nicht „nach Stechuhr“ arbeiten, sind vielleicht gar nicht in die Arbeitsorganisation eingeglie- dert. Sie alle sind nicht abhän- gig beschäftigt im sozialversi- cherungsrechtlichen Sinn – auch wenn ihnen das Unternehmen nicht gehört und sie arbeits- wie steuerrechtlich zu Arbeitneh- mern zählen. Die Anzahl der von dieser Rechtslücke Betroffenen ist nicht erfasst; anhand ihrer mehrjährigen Erfahrung geht die Dortmunder Unternehmens- beratung Financial Networx Dortmund von einer Million Be- troffenen aus. Viele hundert Mandanten haben die Spezia- listen schon erfolgreich aus der Sozialversicherungsfalle geholt und ihnen Wege aufgezeigt, sich abzusichern. Inhaberin Christina Nickel: „Wir prüfen unverbind- lich, ob ein Familienangehöri- ger oder ein Geschäftsführer von dieser Sozialversicherungsfalle betroffen sein könnte. Wenn ja, lassen wir das offiziell überprü- fen und verschaffen dem Man- danten Rechtssicherheit. Stellt sich heraus, dass eine Sozial- versicherungspflicht nicht vor- liegt, holen wir auch die zu Unrecht entrichteten Beiträge aus Arbeitslosen- und Renten- versicherung zurück, letztere für bis zu 30 Jahre. Die Arbeits- agenturen hingegen berufen sich meist auf vierjährige Ver- jährung, die wir aber auch oft verhindern konnten.“ Für sei- ne Kunden hat Financial Net- worx insgesamt 35 Millionen Euro zurückgeholt. Diplom-Be- triebswirtin Christina Nickel gibt ein anschauliches Beispiel: „Wer zehn Jahre lang Höchstbeiträ- ge in die Rentenkassen einge- zahlt hat, erhält alleine aus diesem Topf 100.000 Euro zu- rück. Unsere höchste Einzeler- stattung lag bei fast einer Vier- telmillion Euro.“ Anschließend folgt die wichtigste Dienstlei- stung der Unternehmensbera- tung. Versicherungsspezialist Stephen Nickel: „Wir legen gro- ßen Wert darauf, den Betroffe- nen Wege aufzuzeigen, wie sie sich absichern können. Denn immerhin mussten unsere Man- danten die unangenehme Erfah- rung machen, dass sie sich viele Jahre lang fälschlich in Sicher- heit wähnten. Es gilt, existenz- bedrohende Risiken abzudecken und insbesondere auch, eine Alterssicherung zu vermitteln, die einen sorgenfreien Ruhe- stand ermöglicht.“ Über eine anstehende Rechtsänderung informiert Ka- thi-Gesa Klafke, Justitiarin von Financial Networx: „Nach Drän- gen vor allem aus Kreisen be- troffener Ehefrauen hat die Po- litik im Zuge von Hartz IV zwei Vorschriften verändert. Danach werden die Krankenkassen vom 01.01.2005 an verpflichtet sein, Neuanmeldungen Familienange- höriger an die BfA-Clearingstelle zu melden. Dort wird verbind- lich festgestellt, ob Sozialver- sicherungspflicht vorliegt. Daran wird die Bundesagentur für Ar- beit leistungsrechtlich gebun- den sein.“ Jedoch weist die Juristin darauf hin: „Wer jetzt Schützen & Erhalten · September 2004 · Seite 16
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