S&E Glossary

Für die Frage, ob der Schwellenwert zur Anwend- barkeit des Kündigungs- schutzgesetzes erreicht ist, bedarf es eines Rückblicks auf die bisherige personel- le Stärke des Betriebs und einer Einschätzung seiner künftigen Entwicklung. Findet der besondere Kündigungs- schutz auf ein Arbeitsverhältnis Anwendung, bedarf eine wirksame Kündigung eines sachlichen Kün- digungsgrundes. Nach dem Kün- digungsschutzgesetz in der bis zum 31. Dezember 2003 gelten- den Fassung fand der besondere Kündigungsschutz keine Anwen- dung auf Betriebe, in denen in der Regel fünf oder weniger Ar- beitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftig- ten beschäftigt werden. Das Bun- desarbeitsgericht hat sich in ei- ner Entscheidung vom Februar dieses Jahres sehr ausführlich zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zu der Frage geäußert, ob der besondere Kündigungs- schutz Anwendung findet oder nicht. Dem Urteil lag folgender Sach- verhalt zugrunde: Die Parteien haben über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung gestritten. Der Betrieb der Beklagten für Garten-, Land- schafts- und Sportplatzbau be- stand seit März 2001. Der Kläger war dort seit Oktober 2001 be- schäftigt. Die Anzahl der beschäf- tigten Vollzeitkräfte schwankte zwischen zwei und sechs Arbeit- nehmern. Ab dem 15. April 2002 wurden insgesamt sechs Vollzeit- kräfte beschäftigt. Daneben be- schäftigte die Beklagte regelmä- ßig Auszubildende und Praktikan- ten. Am 3. Juni 2002 ging dem Kläger die Kündigung seines Ar- beitsverhältnisses zum 15. Juni 2002 zu. Der Kläger erhob Kün- digungsschutzklage und vertrat die Auffassung, dass das Kündigungs- schutzgesetz Anwendung finde und ein Kündigungsgrund nicht vorliege. Die Kündigung sei da- her sozial ungerechtfertigt und unwirksam. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Landesarbeits- gericht und Bundesarbeitsgericht haben der Klage dagegen statt- gegeben. Dem Urteil sind folgende Leit- sätze zu entnehmen: 1. Zur Feststellung der Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer bedarf es grundsätzlich eines Rück- blicks auf die bisherige per- sonelle Stärke des Betriebs und einer Einschätzung sei- ner zukünftigen Entwicklung. Zeiten außergewöhnlich ho- hen oder niedrigen Geschäfts- anfalls sind nicht zu berück- sichten. 2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Feststellung der Zahl der in der Regel im Betrieb Be- schäftigten sind die Verhält- nisse im Zeitpunkt des Zu- gangs der Kündigung, nicht hingegen die im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsver- hältnisses an. 3. Der Arbeitnehmer genügt sei- ner Darlegungslast, wenn er die für eine entsprechende Arbeitnehmerzahl sprechen- den Tatsachen und ihm be- kannten äußeren Umstände schlüssig darlegt. Er muss regelmäßig zumindest – ggf. durch konkrete Beschreibung der Personen – angeben, welche mehr als fünf Arbeit- nehmer zum Kündigungszeit- punkt im Betrieb beschäftigt sind. 4. Der sachnähere Arbeitgeber muss dann die Tatsachen und Umstände substantiiert dar- legen, aus denen sich erge- ben soll, dass das Ergebnis der Darlegung des Arbeitneh- mers zufällig ist und regel- mäßig – bezogen auf die Ver- gangenheit und vor allem für die Zukunft – weniger als fünf Beschäftigte im Betrieb tä- tig waren bzw. wieder sein werden. Das Urteil hat folgende prak- tische Auswirkungen: Nach der bisherigen Recht- sprechung des 2. Senats des Bun- desarbeitsgerichts trägt der Ar- beitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der betrieblichen Voraussetzungen für die Geltung des Kündigungs- schutzgesetzes. Die Vorschrift ist durch das Arbeitsmarktreformge- setz vom 24. Dezember 2003 für Arbeitnehmer geändert worden, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31. Dezember 2003 begonnen hat. Ob die Verteilung der Dar- legungs- und Beweislast aufgrund dieser Gesetzesänderung für diese Arbeitnehmer anders zu beurtei- len ist, hat das Gericht in sei- ner Entscheidung ausdrücklich offen gelassen. Für Arbeitsver- hältnisse, die vor dem 31. De- zember 2003 begründet wurden, finde jedenfalls nach wie vor die folgende abgestufte Darlegungs- und Beweislast Anwendung: 1. Darlegung durch den Arbeitnehmer Das Bundesarbeitsgericht führt aus, dass der Arbeitnehmer auf einer ersten Stufe die für eine entsprechende Arbeitnehmerzahl sprechenden Tatsachen und ihm bekannten äußeren Umstände schlüssig darzulegen habe. Das bedeute im Einzelnen, dass er regelmäßig möglichst die Perso- nen konkret beschreiben müsse, die zum Kündigungszeitpunkt über fünf Arbeitnehmer hinaus im Betrieb beschäftigt seien. Maßgeblich sei dafür der Zeit- punkt des Zugangs der Kündi- gung, nicht hingegen der Zeit- punkt der Beendigung des Ar- beitsverhältnisses. Weder Auszubildende noch Praktikanten seien mitzuzählen. Das Bundesarbeitsgericht weist darauf hin, dass an die Darlegungslast des Arbeitnehmers keine unzumutbar strengen An- forderungen gestellt werden dürf- ten. Das folge insbesondere aus Artikel 12 Grundgesetz, der die Berufsfreiheit regele und dem im Verfahrensrecht eine hohe Bedeu- tung zukomme. 2. Bestreiten durch den Arbeitgeber Sie unstreitig, dass im Kün- digungszeitpunkt mehr als fünf Arbeitnehmer im Betrieb tätig waren, sei es auf einer zweiten Stufe Aufgabe des sachnäheren Arbeitgebers im Einzelnen zu erklären, welche rechtserhebli- chen Umstände gegen die sub- stantiierten Darlegungen des Arbeitnehmers sprechen. Dafür müsse er Tatsachen und Umstände substantiiert darlegen, aus denen sich ergeben soll, dass dieses Ergebnis von mehr als fünf Arbeitnehmern im Kündigungs- zeitpunkt zufällig sei und regel- mäßig weniger Beschäftigte im Betrieb tätig gewesen seien oder wieder sein würden. Das Bundes- arbeitsgericht erklärt in seinem Urteil, dass dies insbesondere deshalb Aufgabe des Arbeitgebers sei, da der Arbeitnehmer häufig nicht über die zurückliegenden Zeiträume – oft aufgrund einer nur kurzen Beschäftigungsdauer – aus eigener Kenntnis vortra- gen könne. Genauso wenig habe er in der Regel Informationen über die zukünftige, vom Arbeit- geber beabsichtigte Beschäfti- gungsentwicklung. Zu einem ent- sprechenden Sachvortrag des Arbeitgebers gehöre daher ins- besondere eine Darstellung über das – zukünftige – betriebliche Beschäftigungskonzept. Aufgrund seiner Sachnähe könne der Ar- beitgeber ohne Weiteres substan- tiierte Angaben zum Umfang und zur Struktur der Mitarbeiterschaft und ihrer arbeitsvertraglichen Vereinbarungen machen. ARBEITS- UND SOZIALRECHT Kündigungsschutz Geltung des Kündigungsschutzgesetzes – Urteil des Bundesarbeitsgerichts - 2 AZR 373/03 - vom 24. 2. 2005 Schützen & Erhalten · September 2005 · Seite 19

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