S&E Glossary
Die Ex-Press Berufsinformation des DSV e.V. | Wissenswertes Die Forschung nach neuen Verfahren und Wirkstoffen ist somit stetig gefordert. Für Ro- dentizide wurde nun kürzlich, auf der britischen Fachmesse PestEx in London, ein neuer Ansatz für Antikoagulanzien vorgestellt. Dies stellt eine echte dritte Generation an Antikoagulanzien für die Schadnagerbekämpfung dar, weil es sich um andere als die herkömmlichen Wirkmecha- nismen handelt. Wirkmechanismus von Anti- koagulanzien Antikoagulanzien (syn. Blutgerinnungs- hemmer, Thrombozyten-Aggregations-Hem- mer) haben eine pharmakologische Wirkung. Eine Reihe von Wirkstoffen hat zudem das Potential, in der falschen Dosierung als Me- dikament zur fatalsten aller Folgen, also zur Vergiftung zu führen. Dies ist nicht nur, wie bislang bei Warfarin als Vertreter der Substanz- klasse der Coumarine, für Rodentizide nutzbar. (s. Schützen und Erhalten 1/2015 „Mythos Vita- min K“). Eine zweite Generation von Antikoagu- lanzien basiert auf Verbindungen vom Indandi- on-Typ im Grundgerüst. Dennoch setzen beide, Coumarine und Indandione mitsamt ihren Deri- vaten, an der gleichen Stelle in der Blutgerin- nung, bei der Bildung von Prothrombin an. Sie hemmen ein Enzym, welches indirekt an der Bil- dung dieses Gerinnungsfaktors beteiligt ist. Die Blutgerinnung ist ein komplexer physiologischer Vorgang, dabei ist Prothrombin nur einer der be- teiligten, so genannten Gerinnungsfaktoren. Wei- tere sind z.B. Faktor X, Tissue Factor oder Faktor VII. Auch aggregierende Blutplättchen sind für eine funktionierende Blutgerinnung unabdingbar. Sowohl die erste als auch die zweite Generation der Antikoagulanzien wirken als Vitamin K-An- tagonisten. Prof. Dr. Dietrich Gulba, Kardiologe am Katholischen Klinikum Oberhausen zeigt auf, dass die klassischen Antikoagulantien dadurch die Synthese mehrerer Gerinnungsfaktoren hemmen und somit an mehreren Stellen gleichzeitig die Blutgerinnung hemmen. Damit sind alle derzeitig in Europa verfügbaren Rodentizide mit Antikoa- gulanzien durch das gleiche Wirkprinzip gekenn- zeichnet, was sich möglicherweise ungünstig bei einem Resistenzmanagement erweist. Potentielle neue Antikoagulanzien für Rodentizide In der Humanmedizin ist bei verschiedener- lei Krankheitsbildern die Indikation gegeben, in die Blutgerinnung einzugreifen. Ein Beispiel ist die Verhinderung eines Schlaganfalls bei Pati- enten mit Vorhofflimmern. In Blutgefäße ein- gesetzte Stents helfen, die Blutversorgung des Herzmuskels aufrechtzuerhalten. In der weiteren Versorgung nach derartigen Eigriffen muss unter anderem eine Gerinselbildung gerade an den er- weiterten Stellen verhindert werden. Insgesamt ist mittlerweile eine Auswahl an passenden, auch jüngeren Wirkstoffen (Clopidogrel, Rivaroxaban, etc.) mit unterschiedlichen Wirkmechanismen verfügbar. Bei der Entscheidung ist die fach- kundige Zusammenschau der jeweilige Situation (gewünschter Wirkungseintritt, Vorerkrankung des Patienten, perspektivische Dauer der Medi- kamentengabe, Nutzen/Risikoabwägung, etc.) Ausschlag gebend. Neben den bereits zugelassenen Blutgerin- nungshemmern existiert eine Reihe weiterer Kandidaten, die für den Einsatz in der Medizin entwickelt wurden. Nun hat der Weg vom neuen Molekül bis hin zum Arzneimittel noch einen viel beschwerlicheren Weg als ein Biozid. Der Vorteil für den Aspekt „mögliches Rodentizid“ ist aber, dass bei Arzneimittelstudien schon in der frü- hen Phase verschiedene Daten erfasst werden. Dabei enthalten sind natürlich auch die Wirkung und die therapeutisch nutzbare Dosis. Prof. Dr. Dietrich Gulba, hat diese Chance erkannt. Fünf Substanzklassen sind identifiziert, diese sind alle oral verfügbar, greifen monoselektiv in die Gerinnung ein und besitzen das Potential für eine gute Umweltverträglichkeit. Üblich sind hier Daten zur Toxizität an der Ratte. Allem vo- ran ist diese Wirksamkeit beim Zielorganismus von enormer Bedeutung. Da die Substanzklassen bereits Teile oder die vollständige Zulassung als Arzneimittel durchlaufen haben, darf man an- nehmen, dass alle kritischen Parameter auch für eine Biozidzulassung überschaubar sind. Sicherlich, nicht jede Substanz endet mit einem zugelassenen Arzneimittel. Ebenso, kom- men für die Anwendung als Biozid noch andere Tauglichkeitskriterien hinzu. Beispielsweise kennt man bei zugelassenen, jüngeren Antikoagulanzien einen „Ceiling“-Effekt, also dass sich mit einer Dosissteigerung kein zusätzlicher Effekt (als Gift) für die Blutgerinnung erzielen lässt. Aber auch ganz praktische Überlegungen sind anzustellen. Es scheiden zum Beispiel solche Substanzen aus, die in ihrer möglichen Darreichungsform ungeeig- net sind. In der Regel ist es die orale Aufnahme, die für Rodentizide günstig erscheint, weil man mit Ködern arbeiten kann, auch ist eine Köde- rannahme kontrollierbar. (Die Applikation über Schaum am Fell ist letztlich durch die Aufnah- me bei der Fellpflege oral). Müsste ein Wirkstoff injiziert werden, wäre das schon eine starke Einschränkung, denn um einer Ratte oder einer Maus eine Spritze zu geben, setzt voraus, dass man den Nager ohnehin schon gefangen hat. So gesehen bräuchte man das Gift gar nicht mehr. Fazit In der Vergangenheit wurden oft mit Sorge die Anwendungsauflagen bei den derzeit zugel- assenen Rodentiziden mit Antikoagulanzien kom- mentiert. Mit dem vorgestellten Konzept öffnet sich nun ein weites Feld an möglichen neuen Wirkstoffklassen für die Anwendung. Diese müs- sen nun für Rodentizide evaluiert werden. Somit scheint die Situation um die Methoden in der Schadnagerbekämpfung, wie sie zukünftig für die Praxis zur Verfügung stehen könnten, nicht ganz hoffnungslos, selbst wenn sich einerseits eine Resistenz gegen die bestehenden Antiko- agulanzien stärker verbreiten oder andererseits Wirkstoffe wegfallen sollten. Der Dank gilt an dieser Stelle Herrn Prof. Dr. Gulba vom katholischen Klinikum Oberhausen, für die Durchsicht und fachliche Begleitung in allen medizinischen Fragen. Foto: Michael Lane · 123rf.com Schützen & Erhalten · September 2015 · Seite 72
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