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Schützen & Erhalten · März 2019 · Seite 28 Fachbereiche i Schimmelpilze der pflanzlichen Biomasse. Daher zählen sie auch zu den Primärproduzenten am Anfang der Nahrungskette. Neben Licht sind weitere hauptsächlich anorganische Moleküle wie Kohlendioxid, Ammonium oder Nitrat und Ortho-Phosphat notwen- dig, um Photosynthese durchführen zu können (7). Algenzellen enthalten stets Zellkerne, deshalb werden sie auch als Eukaryoten bezeichnet. Ihr Vegetationskörper wird als Thallus bezeichnet. Sie vermehren sich geschlechtlich und ungeschlechtlich. Neben Einzellern gehören vielzellige For- men zu den Algen; die größten Formen haben die Braunalgen. Algen kommen in fast allen Biotopen vor; die meisten Arten sind an das Leben im Wasser (Süß- oder Meerwasser) gebunden. Sie bewohnen den Grund der Gewässer als Benthos oder schweben im Wasser als Plankton. Auf Bauwerksoberflächen finden wir die sog. aeroterrestrische Mikroalgen. (Aero)Terrestrische Algen haben sich an das Leben auf Hartsubstraten angepasst. Hierzu zählen neben den Grünalgen auch einige Kieselalgen. Früher wurden hierzu auch die Blaualgen gezählt, die heute rich- tigerweise als Cyanobakterien bezeichnet werden und den Bakterien zugeordnet sind. Schwarzalgen oder Rotalgen zählen definitiv nicht zu den aeroterrestrischen Mikroalgen (2, 5, 6) und sind auch auf der Fassade nicht anzutreffen. Der ursprüngliche Lebensraum aero- terrestrischer Mikroalgen sind Bäume, Bö- den und Gestein. Mittlerweile haben sie jedoch auch künstliche Oberflächen wie Dächer, Fenster, Schaltkästen und eben auch Fassaden erobert. Im Vergleich zu ihren planktischen Ver- wandten in Gewässern sind aeroterres- trische Mikroalgen extremen Umwelt- schwankungen ausgesetzt, z. B. Tempe- ratur- und Strahlenbelastung im Tag- und Nachtwechsel, saisonal wechselnde Ein- flüsse auf Temperatur, Niederschlag und Sonneneinstrahlung bis hin zur Anpassung an unterschiedlichste Oberflächenstruk- turen, pH, Biozide in den Baustoffen, UV- Strahlung... Eine beachtliche Leistung für so einfach gestaltete Organismen. Dabei kommt ihnen zugute, dass sie in der Lage sind, farbige Schutzpigmente, Schleimhül- len und wasserspeichernde Kohlenhydra- te zu bilden, was fragile Gewässeralgen üblicherweise nicht können und auch nicht können müssen (5). Terrestrische Mikroalgen sind bei ihrer Stoffwechselaktivität auf freies, d. h. flüs- siges Wasser angewiesen. Kohlendioxid, Nährstoffe u. ä. können nur in gelöster Form die Zellmembran passieren. Es muss also nass sein, was auf einem WDVS bei morgendlicher Betauung regelmäßig der Fall ist. Steht freies Wasser nur zeitwei- se zur Verfügung, ist eine Anpassung an vorübergehende Trockenheit notwen- dig. Das ist bei einem WDVS regelmäßig dann der Fall, wenn mittags die Sonne raufknallt. Terrestrische Mikroalgen ent- wickelten dazu zahlreiche Überlebens- strategien wie extrem dicke Zellwände, umgebende Schleimhüllen und biochemi- sche Verbindungen, die die intrazelluläre Salzkonzentration bei Trockenstress regu- lieren oder als Strahlenschutzpigmente fungieren. Auf diese Art geschützt, kön- nen die robusten terrestrische Arten auch bei nachteiligen Bedingungen überleben, indem sie kurzfristig das Wachstum ein- stellen und wieder aufnehmen, wenn die Wasserverfügbarkeit mikrobielle Aktivität zulässt (8). Derartige „Winterschlafpha- sen“ können mehrere Wochen aufrecht- erhalten werden, ohne dass die Populati- on Schaden nimmt (2). Eine weitere Absicherung zur Le- benserhaltung findet sich in der Gestal- tung von Lebensgemeinschaften. Vie- le Pilze leben mit Algen in einer engen Beziehung, die als Pseudolichenisierung bezeichnet wird. Das sind keine echten Flechten; die Spezies bleiben separat und autonom, tauschen aber durch die Bil- dung eines Biofilms nützliche Metaboli- te aus. Das kann in der Bildung von ech- ten Flechten münden. Diese entstehen, wenn Trockenstress und Nährstoffmangel Überhand nehmen. Die Initiative hierzu geht vermutlich von den Pilzen aus, sie bilden ein so genanntes Lager, mit dem die Photobionten (Alge oder Cyanobak- terium) eingefangen werden. Die Auto- nomie der einzelnen Spezies verschwin- det, ein neuer Thallus entsteht mit neuen ökophysiologischen Eigenschaften (12). Eine andere Form der Anpassung bei aeroterrestrischen Mikroalgen ist die Bil- dung von Biofilmen. Fassadenbiofilme sind Vergemeinschaftungen von Algen unterschiedlicher Spezies mit Bakterien aber auch Pilzen, wenngleich in der Un- terzahl. Gemeinsam agieren sie mit ei- ner Art „Gruppenintelligenz“. Sie folgen dem biologischen Prinzip „wenn‘s einer schafft, haben alle gewonnen“. Um die- ses Prinzip umzusetzen, bedienen sich die Mikroben einer Vielzahl von Mecha- Bild 1: Durch Grünalgen dominierte Fassadenbiofilme sind sehr häufig auf außenseitig gedämmten Bauwerken zu finden, dabei sind viele Farbspiele bis ins Rötliche möglich.
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