S&E Glossary
Fachbereiche Schimmelpilze naturbedingt immer Wasser enthalten und somit erhöhte Grundfeuchten zeigen, macht es Sinn, hier nur die Austauschprozesse zu betrachten [2] . Für bauphysikalische Belange ist diese Betrach- tung jedoch nicht ausreichend. Kapriolen der Wasseraktivität a W Die Wasseraktivität ist auf den ersten Blick etwas zutiefst unbauphysikalisches. So können Baustoffe bei gleicher Temperatur zwar den glei- chen Wassergehalt, aber unterschiedliche a W - Werte zeigen. Umgekehrt kann von gleichen a W - Werten bei konstanter Temperatur nicht auf den Wassergehalt geschlossen werden. Das passt mit den bekannten Eigenschaften von Wasserdampf und h-x-Diagramm so gar nicht zusammen. Den- noch ist die Wasseraktivität temperaturabhän- gig. Und verhält sich hierbei völlig paradox zur Temperaturabhängigkeit der rel. Feuchtigkeit. So konnte in zunächst sehr irritierenden a W -Mes- sungen an Baustoffen festgestellt werden, dass bei konstantem Wassergehalt bei Temperaturzu- nahme die Wasseraktivität anstieg und nicht, wie erwartet, abnahm. Auch der umgekehrte Prozess lässt sich messtechnisch nachverfolgen, bei Tem- peraturabnahme sinkt auch der a W -Wert. Was ist passiert? Die Antwort ist eigentlich ganz einfach und versteckt sich in einer der oben genannten Definitionen der Wasseraktivität: Die Wasseraktivität ist die Messung des Energie- status des Wassers in einem System. Na? Schon Ideen? Richtig, bei realen kapil- laraktiven bzw. kapillarporösen Baustoffen mit inneren Oberflächen spielen nicht nur der Was- serdampfgehalt und die Temperatur eine große Rolle. Zwar gelangen die Wassermoleküle auf- grund des Wasserdampfdruckgefälle in den Bau- stoff, kollidieren sie aber mit freien Slots an in- neren Oberflächen in Poren und Kapillaren, so werden sie adsorbiert und geben ihre kinetische Energie ab. Das ist ein exothermer Vorgang, es wird die Adsorptionsenergie (4–40 kJ/mol) frei- gesetzt. Die dabei entstehenden physikalischen Bindungen beruhen auf Van-der-Waals-Wechsel- wirkungen und sind reversibel. Dazu muss nur Energie zugeführt werden, in der Regel in der Größenordnung der Bindungs- bzw. Adsorpti- onsenergie. So etwas geschieht bei Tempera- turerhöhung. Um 1 mol Wasser wieder ablösen zu wollen, wird eine Temperaturerhöhung um maximal 9 K benötigt. Mit der Desorption, also der Freigabe der physikalisch fixierten Wasser- moleküle, erhöht sich der Partialdampfdruck und die Wasseraktivität steigt an [3] . Aber noch andere, jetzt vielleicht nicht mehr ganz so abstruse Phänomene lassen sich beobachten: so „wandert“ das freie Wasser von Bereichen mit hohem a W zu Bereichen mit nied- rigem a W (siehe Gleichung (2)), wobei der ab- solute Wassergehalt keine Rolle spielt, d. h. das freie Wasser kann durchaus in Richtung höherer Wassergehalte wandern, solange nur genug Platz im Porenluftvolumen ist und es nicht unterwegs durch bindungsaffine Oberflächen und Kapillaren zurückgehalten wird. Wasseraktivität und Schimmelpilze Schimmelpilze bilden zwei Formen von My- zel aus: das Substrat- oder vegetative Myzel, welches sich in das Nährsubstrat oder wie hier in den Baustoff einarbeitet. Das Substratmyzel dient der Aufnahme von Wasser und Nährstoffen, also der Versorgung und Ernährung des Schim- melpilzes. Von der Oberfläche weg hingegen wächst in sogenannter geotroper Reaktion das Luft- oder Reproduktionsmyzel, hier finden sich spezielle Fruktifikationsorgane, die schließlich zur Bildung von Sporen führen [4,5] . Beide Myze- lien benötigen, obwohl sie zur selben Spezies gehören und selbst wenn sie ursprünglich von derselben Spore abstammen, unterschiedliche Wasseraktivitäten! [12] Wie weitreichend die Wasseraktivität den mi- krobiellen Lebenszyklus beeinflusst, zeigt sich am Beispiel des Aspergillus flavus. Zum Auskeimen benötigen die Sporen des A. flavus einen aw-Wert von 0,80. Obwohl das Wachstumsoptimum bei einer Wasseraktivität von 0,95 liegt, kann Sub- stratwachstum bis zu einem minimalen a W -Wert von 0,78 stattfinden. Das Luftmyzel sporuliert bevorzugt bei aw-Werten von 0,95–0,96; mini- mal müssen aber 0,85 zur Verfügung stehen [12] . Das Luftmyzel stellt also höhere Anforderungen an die Wasseraktivität als das Substratmyzel, wobei die „Herbeischaffung“ entsprechender Wasserreservoire auf Seiten des Substratmyzels liegt. Die Produktion der Aflatoxine B 1 und B 2 ist an eine Wasseraktivität von 0,8, also deutlich unterhalb des Fruktifikationsniveaus, gebunden. Vielleicht nach dem Motto: „Friss mich nicht, bevor ich sporuliert habe!“ Eine sehr effektive Überlebensstrategie (Bild 1). Das Wachstumsoptimum der meisten Schim- melpilze liegt bei einem a W -Wert um 0,95. Un- abhängig davon, bei welchen a W -Wert Sporen keimen und ab wann Myzelwachstum möglich ist. Lediglich Aspergillus penicillioides hat es gerne etwas trockener bei 0,77; wobei er ab 0,75 auskeimen kann. Wer sich mehr dafür inte- ressiert, kann beim CBS eine umfangreiche Liste auf Deutsch abrufen [12] . Für die Erkennung von Schimmelpilzbefällen ist dies von Bedeutung. Denn auffällig wird ein Befall in der Regel erst durch die Ausbildung eines Luftmyzels und durch pigmentierte Koni- dienträger und Sporen. Findet aufgrund sehr ge- ringer Wasseraktivität nur vegetatives Wachstum statt, bleibt der Befall lange (visuell) unbemerkt. Das macht sich übrigens ein Patent der Fir- ma Henkel zunutze. Dabei wird über bestimmte Botenstoffe die Sporulation verhindert. Durch die Nichtpigmentierung des Myzels erscheint die Silikonfuge länger unbewachsen und sauber [11] . Die magischen 0,8 (80 Prozent r. F.) Wenn nun doch das Wesentliche im Leben eines Schimmelpilzes oberhalb einer Wasserak- tivität von 0,8 stattfindet, warum wird dann so stringent auf das „Schimmel-Kriterium“ bestan- 0,2a w 0,4a w 0,6a w 0,8a w 1,0a w Wasseraktivität Enzyme Mikro- biologie Oxidation Bräunung Vitamine Reaktionsgeschwindigkeit Bild 1: Substrat- und Reproduktionsmyzel einer Cladosporiumkolonie im Querschnitt bei 200-facher Vergrößerung. Das Substratmyzel wandert bis zu einem Millimeter tief in das Nährsubstrat ein. (Foto Messal) Bild 2: Wasseraktivität als Einflussfaktor für biotische und chemische Prozesse. (Bild: Markus Bernasconi, Novasina) a W j Produkt Schützen & Erhalten · Juni 2013 · Seite 24
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