S&E Glossary
Fachbereiche Sachverständige Borsalze, Präparate auf Basis von Borax und Borsäure, hatten sich seit Jahrzehnten im Holzschutz bewährt (Peylo 1997, 1998). Ihr wesentlicher Vorteil aus Sicht des Gesundheitsschutzes ist der fehlende Dampfdruck, sodass keine Belastung der Raumluft erfolgt. Sie waren auch bei Dämmstoffen aus Altpapier o. ä. aufgrund ihrer zusätzlichen feuerhem- menden Wirkung sehr beliebt. Insgesamt wur- den sie gerade ab etwa Mitte der 1980er-Jahre vor dem Hintergrund der damals beginnenden, zunehmend kritischen Bewertung klassischer chemischer Holzschutzmittel aus Richtung der ökologischen Baustoffe favorisiert. Der Anfang von Borsalzen im Holzschutz ist aber bereits im 19. Jahrhundert zu finden (Zerehner 1874). Im letzten veröffentlichten Holzschutzmit- telverzeichnis (DIBt 2009) waren etwa 32 vor- beugend wirksame, 8 von 24 Bekämpfungsmit- teln und 9 von 12 Schwammsperrmitteln, reine Borsalze oder Gemische mit anderen Wirkstoffen. Borsalze waren also fest etabliert, auch wenn ihre Wirksamkeit als langsam eingestuft wurde. In Laborversuchen bedeutet dies eine Abtötung der gezielt eingesetzten Eilarven von Hausbock nach 16 Wochen (EN 1390) bzw. 24 Wochen gegen Nagekäfer (Anobium punctatum, EN 48). In der Praxis, in der das Holzschutzmittel eben nicht gleichmäßig über die gesamte Probe ver- teilt, sondern meist nur oberflächlich vorhanden ist, kann dies gerade bei Nagekäfern eine sicht- bare Wirksamkeit, d. h. ein Ende des Auftretens neuer Ausfluglöcher und der damit verbundenen Fraßmehlhaufen, erst nach drei bis fünf Jahren bedeuten. Tatsächlich bedeutet dies, dass die im Holz vorhandenen Insekten sich oft noch entwickeln können. Erst der Neubefall ist aus- geschlossen. Borpräparaten kommt damit quasi eine „vorbeugend-bekämpfende“ Wirkung zu. Becker zog aus verschiedenen Versuchen be- reits 1959 (Becker 1959) daher die Konsequenz, dass Borsalze eigentlich nicht zur Bekämpfung eines Befalls durch holzzerstörende Insekten wirk- sam sind. Dies allerdings vor dem Hintergrund des damals verfügbaren und vielfach eingesetzten klassischen Wirkstoffes Lindan. Mit zunehmendem Gesundheitsbewusstsein wurden diese Kenntnisse anders bewertet und die geringe Giftigkeit von Borsalzen bei gleichzeitiger Wirksamkeit in den Vordergrund gestellt (Peylo 2005). Seit 2009 tragen Borsalze jedoch eine Kenn- zeichnung als gefährlicher Stoff, während sie vorher kennzeichnungsfrei waren. Was ist also passiert? Sind Borsalze plötzlich giftig? Angefangen hat alles mit der Veröffentli- chung von Versuchsergebnissen des Dänischen Umweltministeriums (Miljøstyrelsen 1998). An Säugetieren, hauptsächlich Ratten und Hunden, waren Borsalze verfüttert worden. Eine Dosis von 100mg Borsäure/kg Körperge- wicht zeigte sich bei einer Versuchsdauer über 2 Jahre als unschädlich (No-effect-level). Für einen erwachsenen Menschen von 70 kg ent- spräche dies einer täglichen Aufnahme von 7 g Borsäure. 20 g konnten jedoch bereits tödlich sein. Diese Ergebnisse waren alles andere als neu. Sie sind vielfach in der älteren Literatur zu finden (Kliegel 1980). Fraglich ist daher, ob die Versuche in Anbetracht der Schädigung der Versuchstiere überhaupt sinnvoll waren. Ein Detail war jedoch so noch nicht dokumentiert: Die Samenproduktion der männlichen Tiere war vermindert. Betrachtet man die Wirkungsweisen von Borsalzen, so zeigt sich, dass Bor zumindest für Pflanzen sogar ein essentielles Element ist, ohne das keine geregelte Zellteilung möglich ist (Kliegel 1980). Eine Wirkung im Organismus ist daher nicht unwahrscheinlich. Entscheidend ist aber immer die Dosis, wie schon Paracelsus wusste. Zusätzlich erhebt sich die Frage der Re- levanz von Fraß-Versuchen für die Anwendung im Holzschutz. Zur Erinnerung: Borsalze weisen keinen Dampfdruck auf. Es müsste also das be- handelte Holz, zudem in ausreichender Menge, gegessen werden. Die Ergebnisse veranlassten aber das dä- nische Ministerium eine Einschränkung der An- wendung von Borsalzen zu fordern (Peylo 2000). Etwa zeitgleich wurde die Biozid-Richlinie der EU erlassen (Richtlinie 98/8/EG des Euro- päischen Parlaments und des Rates über das In- verkehrbringen von Biozid-Produkten).Diese sah vor, in einem Zeitrahmen von etwa 3–5 Jahren, zunächst alle in der EU verwendeten Biozide 1 aufzulisten. Dies wurde als Registrierung be- zeichnet. Die Hersteller mussten die Stoffe und ihre Einsatzbereiche bei den nationalen Behör- den melden. In einem 2. Schritt sollten zu diesen Stoffen dann Daten eingereicht werden: Notifizierung. Stoffe, zu denen keine Daten eingereicht wurden, durften ab dem 31.12.2003 nicht mehr verwen- det werden. So wurden z. B. Borsalze in spezi- ellen Formulierungen ausgehend von den USA bis 2003 zunehmend als Ameisengift erfolgreich eingesetzt. Es erfolgte jedoch von keinem Her- steller eine Notifizierung, sodass ab 2004 diese Anwendung nicht mehr zulässig war. Ziel war die Erstellung einer „Positivliste“ für eine einheitliche europäische Holzschutz- mittelzulassung. Hier ist zu beachten, dass das seit Jahrzehnten bewährte deutsche System mit der Zulassung durch das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt), das seit langem neben der Wirksamkeitsprüfung auch eine Gesund- heits- und Umweltbewertung enthielt in die- ser Form in den meisten europäischen Staaten unbekannt war. 2 Um auf diese „Positivliste“, den Anhang1 der Biozid-Richtlinie, zu gelangen, müssen die Wirkstoffe eine umfangreiche Bewertung und Prüfung durchlaufen. Die Prüfgrundsätze und die Institutionen, die diese Prüfungen durchführen bzw. bewerten, mussten erst geschaffen werden, 3 sodass erst ab etwa 2009 die ersten Wirkstoffe in den Anhang der Biozid-Richtlinie gelangten. 4 Borsalze (Borsäure/Borax) wurden mit Be- schluss der Europäischen Kommission vom 15. September 2008 als reproduktionstoxisch eingestuft, Kennzeichnung „T“. Biozid-Präparate, die mehr als 5,5% Borsalze enthalten, mussten daher ab Juli 2009 den To- tenkopf tragen! Zusätzlich sind die R-Sätze 60–61 für fortpflanzungsgefährdende Gefahrstoffe der Kategorie 2 anzubringen. Die Kategorie 2 ent- hält Stoffe, die als „fortpflanzungsschädigend angesehen werden sollen“. Ein Nachweis ist da- mit nicht erbracht, es besteht nur der Verdacht. Gemäß Gefahrstoffverordnung ergaben sich ab Juli 2009 folgende Konsequenzen: Es erfolgt die Kennzeichnung T, R60-61. – Eine Abgabe an Privatpersonen ist nicht mehr zulässig. – Nur Fachbetriebe mit den entsprechenden Sachkundenachweisen dürfen die Stoffe wei- ter verwenden. – Eine Bewertung der Risiken bei der Verar- beitung ist vorzunehmen und entsprechende Schutzmaßnahmen sind zu ergreifen. Schützen & Erhalten · März 2013 · Seite 20 Bor – ein Nachruf?
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