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Schützen & Erhalten · März 2009 · Seite 17 Die Abrechnung eines gutachterlichen Gerichtsauftrags ist sehr facettenreich und ein leidiges Dauerthema. Besonders schwierig wird es dann, wenn Besonder- heiten wie Auslandsaufenthalte oder wie nachfolgend geschildert mehrtägige Reisen in Zusammenhang mit der Beauftragung anfallen. In den IfS-Informationen 5/2008 ist auf Sei- te 28 zu dem Thema „Zeitberechnung bei Rei- sen mit Übernachtung“ ein interessanter und aufschlussreicher (da mit Zahlen konkreti- sierter) Artikel veröffentlicht worden. In dem nachfolgend wiedergegebenen Artikel wer- den neben einer konkreten Zeitberechnung für den Fall der im Rahmen einer gerichtli- chen Beauftragung durchzuführenden Reise mit Übernachtung auch Berechnungsansätze zu den Punkten „Verkehrsstau“ und „Motor- schaden“ gegeben. „Sachverständige fragen immer wieder an, welche Stundenzahl sie in Rechnung stellen kön- nen, wenn sie mit der Bahn oder dem Pkw zum Gerichtstermin oder zur Ortsbesichtigung fahren und dabei auch übernachten müssen. Auszugehen ist von §8 Abs. 1 JVEG, der von der „erforderlichen Zeit“ spricht. Was die Reisezeit angeht, so ist herrschende Auffassung in Recht- sprechung und Literatur, dass der Sachverständige die gesamte Abwesenheit von Zuhause stunden- mäßig in Rechnung stellen kann. Ausgenommen sind die Übernachtungszeit von acht Stunden und die Mittagszeit von einer Stunde (OLG Oldenburg, 13.3.1991, NdsRpfl. 1991, 120). Ebenso gehört nicht der Zeitaufwand für die Erfüllung allgemein menschlicher Bedürfnisse dazu, wie beispielswei- se eine Pause für die Einnahme von Mahlzeiten (OLG Hamm, 27.4.1993, MDR 93,1025); ebenso: Bleutge, Kommentar zum JVEG, 4. Aufl. 2008, §8, Rdn. 9; Schneider, JVEG, 2007, § 8 Rdn. 40/41); Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl. 2007, Rdnr. 849 u. 917921; Meyer/Höver/Bach, 24. Aufl. 2007, Rdn.6.5. Bei der Berechnung der Stundenzahl kann der Sachverständige auch Vorlaufzeiten einbe- ziehen, die notwendig waren, um im Voraus un- vorhersehbare, aber durchaus übliche Verspätun- gen öffentlicher Verkehrsmittel oder Zeitverluste durch Verkehrsstaus auf den Straßen abzufangen und um auf diese Weise rechtzeitig zum Termin zu erscheinen (LSG Thüringen, 5.4.2000, JurBüro 2000, 489; Ulrich, Rdn. 918). Er kann also einen Zug früher fahren oder aber die Reise mit dem Pkw eine Stunde vorher antreten bzw. die Staus umfahren, wenn das Navigerät oder die Radio- durchsage dies anzeigt. Ebenfalls vergütet wird die Zeit, die der Sachverständige in einem Verkehrs- stau zubringen muss (OLG Stuttgart, 19.2.1996, JurBüro 1996, 659). Tritt während der Reise des Sachverständigen an seinem Pkw ein Motorschaden auf, fällt der Zeitaufwand zum Abschleppen und zur Repara- tur in seine Risikosphäre; diese Zeit bekommt er nicht vergütet (OLG Hamm, 30.9.1977, MDR 1978, 868). Bezüglich der Berechnung der Fahrtkosten nach §5 Abs. 2 JVEG (pro gefahrenen Kilometer 0,30 Euro) bestehen keine grundsätzlichen Be- denken gegen eine mit einem Computerprogramm ermittelte kürzeste Reiseroute (LSG Thüringen, 5.2.2000, JurBüro 2000, 489); es handelt sich bei dieser Berechnung aber lediglich um ein Indiz für die notwendige Strecke. Im Zweifel kommt es auf die tatsächlich gefahrene Strecke an; wenn also ein Stau umfahren werden muss oder wenn man durch Benutzung eines Umwegs schneller zum Ziel kommt, also Zeit einspart, muss nicht die kürzeste Strecke gewählt werden. Zu erwähnen bleibt noch, dass der Sachver- ständige nur dann übernachten darf, wenn er zur rechtzeitigen Erreichung des Terminorts in den Sommermonaten (April–September) vor 6:00 und in den Wintermonaten (Oktober–März) vor 7:00 das Haus verlassen müsste. Für die Rückfahrt gilt, dass er nicht mehr nach Hause fahren muss und am Terminort übernachten darf, wenn er Zuhau- se erst nach 24:00 ankommen würde (LSG Stutt- gart, 28.8.1985, RPfleger 86,197; LSG Thüringen, 5.4.2000, JurBüro 2000, 489; Bleutge, § 6 Rdnr. 4; Ulrich, Rdn. 918; Meyer/Höver/Bach, Rdn. 6.5a; Hartmann, 37. Aufl. 2007, § 6 Rdn. 5). Die Höhe der Übernachtungskosten richtet sich gem. § 6 Abs.2 JVEG nach dem Bundesreise- kostengesetz und beträgt in der Regel 60 € . Wird dieser Betrag überschritten, muss der Sachverstän- dige nachweisen, dass unter Berücksichtigung der am Terminort üblichen Hotelpreise keine billige- re – zumutbare – Unterkunft gefunden werden konnte (LG Hannover, 21.3.2006, JurBüro 2006, 491 = DS 2006, 245; Bleutge, §6 Rdn. 4; May- er/Höver/Bach, Rdnr. 6.5b; Schneider, §6, Rdn. 21–23; Ulrich, Rdnr. 919 u. 920). Beispiel für die Berechnung der reinen Rei- se- und Übernachtungszeit (ohne Fahrt- und Übernachtungskosten): Wenn der Sachverständige aus München ei- nen Termin in Bonn wahrzunehmen hat, der um 9:00 beginnt und bis 14:00 dauert und er die Deutsche Bahn benutzt, muss er natürlich am Tag vorher anreisen. Er nimmt dann den durchgehen- den Zug IC 114, der um 14:40 von München Hbf. abfährt und um 20:20 in Bonn ankommt. Der Zug hat, wie üblich, eine halbe Stunde Verspätung, so dass er erst um 20:50 in Bonn ankommt. Bis ins Hotel benötigt er 10 Minuten, so dass er um 21:00 im Hotel ankommt. In München hat er eine Stunde benötigt, um von seiner Wohnung zum Bahnhof zu kommen und dort eine Fahr- karte zu kaufen. Mithin kann er für den Anreisetag folgende Stundenzahl in Rechnung stellen: Anreise zum Hbf. München: 60 Min. Bahnfahrt: 370 Min. Fußweg zum Hotel: 10Min. Zeit bis 23:00: 120 Min. Insgesamt: 560 Min. Die Zeit von 21:00 bis 23:00 (= 2 Stunden) wird ebenfalls vergütet, weil er diese Zeit für die Vorbereitung des folgenden Tages benötigt. Die Zeit von 23:00 bis 7:00 des nächsten Tages (=8Stunden) bleibt unberücksichtigt, weil es sich um die übliche Übernachtungszeit handelt. Sollte er in der Nacht weitere Stunden zur Vorbereitung des Gerichts- oder Ortstermins arbeiten, werden auch diese Stunden vergütet. Am folgenden Tag steht der Sachverständige um 7:00 auf, nimmt den Termin um 9:00 wahr und fährt um 13:14 wieder nach München mit der Bahn zurück, wo er um 19:16 eintrifft. Da- nach benötigt er wieder eine Stunde, um nach Hause bzw. in sein Büro zu gelangen; dortige Ankunft: 20:16. Für den zweiten Tag kann folgende Stun- denzahl in Rechnung gestellt werden: Zeit bis Terminbeginn (7:00–9:00): 120 Min. Termindauer mit Wartezeit (9:00–12:00): 180 Min. Mittagszeit (12:00–13:00): bleibt außer Betracht Weg zum Bahnhof und Fahrt mit der Bahn: 376 Min. Weg vom Hbf. München nach Hause: 60 Min. Insgesamt: 736 Min. Der Sachverständige kann im vorliegenden Fall nach §6 Abs. 1 JVEG für den ersten und zweiten Reisetag je 6 Euro Tagegeld beanspruchen, weil er an beiden Tagen mehr als 8 und weniger als 14 Stunden unterwegs war. Gerichtlich beauftragte Sachverständige: Wie ist das mit der „Zeitberechnung bei Reisen mit Übernachtung“ Fachbereiche Sachverständige Foto: Absolutvision.com · Tan Kian Khoon
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