S&E Glossary

Schützen & Erhalten · März 2009 · Seite 27 Borsalze, Präparate auf Basis von Borax und Borsäure, haben sich seit Jahrzehnten im Holzschutz bewährt. Ihr wesentlicher Vorteil aus Sicht des Gesundheitsschutzes ist der fehlende Dampfdruck, so daß keine Belastung der Raumluft erfolgt. Etwa die Hälfte der zugelassenen Holzschutz- mittel enthalten Bor oder sind reine Borprä- parate. Borsalze werden bzw. wurden zudem in vie- len Anwendungsbereichen eingesetzt. So wurden z.B. Polyborate als Entkalker in Waschmitteln verwendet. In der Landwirtschaft werden sie in Düngemitteln benötigt. Borsalze waren bisher gemäß Gefahrstoff- verordnung nicht eingestuft und damit kenn- zeichnungsfrei. Dass borhaltige Holzschutzmit- tel in der Regel als „gesundheitsschädlich beim Verschlucken“ (X) eingestuft waren, beruhte auf Formulierungsbestandteilen, die z. B. die Penet- ration verbessern sollten, wie z. B. Alkoholen. Am 15. September 2008 veröffentlichte die EU Kommission nun einen Beschluss, wonach Biozid-Präparate, die mehr als 5,5% Borsalze enthalten, ab Juli 2009 als reproduktionstoxisch eingestuft werden müssen und daher den To- tenkopf tragen! Zusätzlich sind die R-Sätze 60–61 für Fort- pflanzungsgefährdende Gefahrstoffe der Kate- gorien 2 anzubringen. Die Kategorie 2 enthält Stoffe, die als „fortpflanzungsschädigend angese- hen werden sollen“. Ein Nachweis ist damit nicht erbracht, es besteht nur der Verdacht. Dieser Beschluss beruht auf einem Einstu- fungsverfahren, das in der Gefahrstoffrichtlinie der EU (67/548/EWG) festgelegt ist. Neu einge- stufte Stoffe werden über ein Anpassungsverfah- ren (ATP) aufgenommen. Von diesen ATPs gab es in den letzten Jahrzehnten bisher 29. Gibt es neue Erkenntnisse? Nein! Nur alte Daten sind neu und, wie wir meinen, falsch bewertet worden: Borsalze, bzw. die in wässriger Lösung aus ihnen entstehenden Borat-Ionen können im menschlichen, tierischen und pflanzlichen Or- ganismus an vielfältigen Positionen angreifen. Sie können Membranpotentiale ändern, Enzyme beeinflussen und so vielfach in den Stoffwechsel eingreifen. Bei Pflanzen ist die Notwendigkeit von Borat-Ionen bei der Zellteilung im Meiose- Apparat nachgewiesen. Sie haben damit eine unspezifische Wirkung, die für klassische Gifte typisch ist. Entscheidend ist jeweils die Konzen- tration, wie bereits Paracelsus wusste. Borsalze sind damit – zumindest für Pflanzen nachgewiesen – notwendige Spurenelemente, in hoher Konzentration aber auch giftig. So wäre für einen durchschnittlichen Erwachsenen eine Dosis von ca. 15–20g tödlich. Zum Vergleich, auch etwa 40g haushaltsübliches Kochsalz hät- ten die gleiche Wirkung. Bereits 1998 sind Untersuchungen im Auftrag des dänischen Umweltministeriums veröffentlicht worden, die an Säugetieren, hauptsächlich Ratten und Hunden, durchgeführt worden waren. Diesen Tieren waren Borsalze verfüttert worden. Eine Do- sis von 100mg Borsäure/kg Körpergewicht zeig- te sich bei einer Versuchsdauer über 2 Jahre als unschädlich (No-effect-level). Für einen erwach- senen Menschen von 70kg entspräche dies einer täglichen Aufnahme von 7g Borsäure. Die Ergebnisse veranlassten aber das däni- sche Ministerium eine Einschränkung der Anwen- dung von Borsalzen zu fordern (Peylo 2000). Die entscheidende Frage ist nun, ob es über- haupt möglich ist, bei bestimmungsgemäßem Gebrauch und fachkundiger Anwendung eine gefährliche Dosis aufzunehmen und ob der Kör- per sie bei sich behalten würde? Da Borsalze keine Gasphase aufweisen, ist eine Aufnahme durch Anwender oder Bewohner ausgeschlossen. Auch durch die unverletzte Haut erfolgt keine Aufnahme bei Berührung. Aus den zurückliegenden 150 Jahren sind trotzdem eine Reihe von Vergiftungen dokumentiert, die auf Fehlanwendungen in der Medizin zurückgehen (Kliegel 1980). Im Holzschutz sind keine Ver- giftungen bekannt geworden. Eine Akkumulation erfolgt nicht. Nach 24 Std. ist etwa die Hälfte des aufgenommenen Borsalzes wieder ausgeschieden. Was ist passiert? Im Zuge der Biozid-Richtlinie der EU (98/8/ EG) sollte zunächst eine Bestandsaufnahme (Notifizierung) und dann eine Bewertung der verwendeten Wirkstoffe erfolgen. Dieser Pro- zeß erfolgte von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt seit Ende der 90er Jahre. Von der EU wurden für dieses Verfahren umfangreiche Richtlinien erlassen. Die entscheidende Bewer- tung eines Wirkstoffes erfolgt demnach nur iso- liert auf den Stoff, ohne Berücksichtigung der Exposition, d.h. wie liegt der Stoff vor und wie wird er angewendet. Dieser Ansatz für eine Bewertung ist daher unserer Meinung nach grundsätzlich falsch. Dem Leser bleibt an dieser Stelle vorbehal- ten, sich auszumalen, welche Konsequenzen sich ergeben würden, wenn die gleichen Bewer- tungsmaßstäbe an Dinge des täglichen Lebens wie Kochsalz, Bier oder Wein oder gar Zigaretten angelegt werden würden. In diesem Zusammenhang sei darauf ver- wiesen, dass die EU tatsächlich bereits eine Verordnung in Arbeit hatte, die die öffentliche Aufstellung von Salz in Restaurants unterbinden sollte. Der Kellner sollte diese nur auf Bestel- lung bringen und sogleich wieder in Sicherheit bringen ... Von diesen Plänen wurde Abstand genommen, von der Bewertung der Biozid-Wirk- stoffe trotz jahrelanger Diskussion und massiver Einwendungen fachkompetenter Wissenschaftler jedoch nicht. Borpräparate und somit auch unser Boracol werden ab Juli den Totenkopf tragen Was bedeutet dies für die Praxis? Gemäß Ge- fahrstoffverordnung ergeben sich ab Juli 2009 folgende Konsequenzen: – Es erfolgt die Kennzeichnung T, R60–61. – Eine Abgabe an Privatpersonen ist nicht mehr zulässig. – Nur Fachbetriebe mit den entsprechenden Sachkundenachweisen dürfen die Stoffe wei- ter verwenden. – Eine Bewertung der Risiken bei der Verar- beitung ist vorzunehmen und entsprechende Schutzmaßnahmen sind zu ergreifen. – Einschränkungen für den Transport sind mit der Kennzeichnung nicht verbunden. Welche Risiken sind nun mit der Verarbeitung von Borsalzen verbunden und welche Schutz- maßnahmen sind zu treffen? Welche dieses sind, hat die EU noch nicht beschlossen. Die zuständigen Fachbehörden, insbeson- dere die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (baua, www.baua.de) und das Umweltbundesamt (uba, www.uba.de) erklären, dass keine weiteren Angaben vorliegen und ver- weisen auf die Hersteller. Bei fachgerechter Anwendung durch sach- kundige Fachfirmen ist eine Aufnahme von Bor- salzen nicht möglich und vom behandelten Holz geht aufgrund der nicht erfolgenden Emission keine Gefahr aus. Bor – vom Ökomittel zum Giftstoff ... oder der ganz normale Wahnsinn der EU Praxis

RkJQdWJsaXNoZXIy OTg3NzQ=