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Schützen & Erhalten · Juni 2021 · Seite 30 FACHBEREICHE I SACHVERSTÄNDIGE Interessantes aus der Rechtsprechung Technische Regel – allgemein anerkannt? Während der erste Satz nachvollzieh- bar ist und auch häufig so in Vorträgen und Publikationen wiedergegeben wird, weist der zweite Satz doch deutlich daraufhin, dass es schwierig ist, einer Technischen Regel, wenn allgemein anerkannt, diese wieder abzusprechen. Aber worum ging es im vorliegenden Fall? (aus IBR Immobilien- & Baurecht Ausgabe 5/2021 Seite 235, RA Prof. Dr. Heiko Fuchs, Mönchengladbach) „Der Bauherr (B) beauftragt den Unternehmer (U) mit der Erstellung eines sog. „Warmdaches“. Dabei sollte es sich um ein nicht belüftetes Dach handeln, bei dem sich Holz oder Holzwerkstoffe zwischen Dachabdichtung und diffusi- onshemmender Schicht befinden. Der Dachaufbau war durch ein „Holzschutz- gutachten“ vorgegeben, das B durch einen Sachverständigen für „Schäden an Gebäuden“ erarbeiten ließ. Später wurden ohne Beteiligung des U noch Dachfenster und ein Schornstein in das fertig gestellte Dach eingebaut. Nachdem sich Durchfeuchtungen gezeigt haben, nimmt B den U auf Zahlung der Kosten i.H.v. gut 45.000 Euro in Anspruch, die für den Umbau in ein belüftetes Kaltdach erforderlich sind.“ Die Abnahme für das fertiggestellte Dach erfolgte in 2010. Geht das vor- instanzliche LG noch davon aus, dass 2010 ein Warmdach nicht mehr den allgemein anerkannten Regeln der Tech- nik entspricht, stellt das OLG Rostock diesen Ansatz in Zweifel. Insbesondere verweist das OLG darauf, dass das LG ohne ausreichende Grundlage zu seiner Entscheidung gekommen ist. Nachfolgend hierzu ein Auszug aus der Begründung des OLG Rostock zu dem Beschluss vom 23.09.2020 (Gründe: I. 1. a. bb.) „Nicht belüftete Dächer der in dem vorliegenden Fall streitgegenständlichen Art, bei denen sich Holz oder Holzwerk- stoffe zwischen Dachabdichtung und diffusionshemmender Schicht befinden, waren nach den Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. nach der DIN 4108 mit Stand von Juli 2001 zur Zeit der Abnahme hier im Jahr 2010 noch ohne Einschränkung zulässig; eine Änderung des betreffenden Regelwerkes erfolgte erst mit seiner Ausgabe von November 2014 und zudem nur dahingehend, dass sie nunmehr eines rechnerischen Nachweises bedürfen. Die zu Gunsten der älteren Fassung der DIN 4108 beste- hende Vermutung im Hinblick auf ihre Wiedergabe der anerkannten Regeln der Technik zum Zeitpunkt der Abnahme wird durch die weiteren Erläuterungen des Gutachters nicht widerlegt. (1) Zwar schätzt er aufgrund eigener langjähriger Erfahrungen mit derartigen Dachausführungen und vielfältigsten Schadensfällen, welche unter anderem auch auf die grundsätzliche Konstruktion zurückgeführt werden müssten, sowie angesichts einer seit mindestens 15 bis 20 Jahren andauernden kontroversen Diskussion in der Fachwelt ein, dass die in der DIN 4108 bestätigte Konstruk- tionsart in der Praxis nicht den aner- kannten Stand der Technik widerspiegeln könne, weil sie nicht langjährig bewährt, in keinster Weise fehlertolerant und unter Baustellenbedingungen deshalb kaum herstellbar sei; der Sachverständige nimmt in diesem Zusammenhang bei- spielhaft Bezug auf eine Schriftenreihe des Informationsdienstes Holz und ein Fachbuch zu Schäden im Holzbau. (2) Daraus wird allerdings nicht hinreichend deutlich, dass oder inwiefern diese Ein- schätzung gerade der überwiegenden Ansicht einer Mehrheit der technischen Fachleute entspricht. Eigene Erfahrun- gen (bloß) des Sachverständigen selbst können angesichts dieses Kriteriums für das Bestehen oder Nichtbestehen einer „allgemein“ anerkannten Regel der Technik ebenso wenig maßgeblich sein wie für sich genommen eine kontrovers geführte Diskussion zu dem Thema in der Fachwelt. Denn allein dass eine solche fachliche Auseinandersetzung stattfindet, in der voneinander abwei- chende Auffassungen vertreten werden, sagt noch nichts darüber aus, ob sich Es schreibt für Sie: Dipl. Holzwirt Georg Brückner Fachbereichsleiter Sachverständige Roggenkamp 7a · 59348 Lüdinghausen Telefon: (02591) 949653 Telefax: (02591) 949654 E-Mail: brueckner@dhbv.de 1. Eine technische Regel ist allgemein anerkannt, wenn sie der Richtigkeitsüberzeugung der technischen Fachleute im Sinne einer allgemeinen wissenschaft- lichen Anerkennung entspricht und darüber hinaus in der Praxis erprobt und bewährt ist; auf beiden Stufen muss die technische Regel der überwiegen- den Ansicht (Mehrheit) der technischen Fachleute entsprechen.*) 2. Diese Feststellung bedingt eine Auswertung des jeweiligen Meinungsstands, während die Bewertung einer bestimmten Art der Bauausführung allein durch den beauftragten Gerichtssachverständigen unter Bezugnahme auf lediglich zwei Werke der Fachliteratur nicht ausreicht.*) OLG Rostock, Beschluss vom 23.09.2020 – 4 U 86/19, Volltext: IBRRS 2021, 0939 VOB/B § 4 Abs.2 Nr. 1 Satz 2, § 4 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 2
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