Schützen & Erhalten · März 2015 · Seite 56
Die Ex-Press
Berufsinformation des DSV e.V.
|
Nagetierbekämpfung
Mythos Vitamin K
‚Wenn in Haferflocken Vitamin K ist, funk-
tionieren solche Köder schlecht mit Blut-
gerinnungshemmern‘. Die Ansicht, es gäbe
abgesehen von einer Resistenz einfache
Mechanismen, die zugelassene Rodentizide
in ihrer Wirkungsweise aushebeln, hält
sich hartnäckig. Woran das liegt? – Lesen
Sie im Folgenden einen Erklärungsversuch
und eine Auffrischung zur Wirkweise von
Antikoagulanzien mit spannenden Einbli-
cken in die Humanmedizin.
Der Hinweis für den Arzt auf die Vitamin K1-
Gabe als Antidot findet sich auf dem Sicher-
heitsdatenblatt von Rodentiziden mit aktiver
Substanz ‚Cumarinderivate‘. An diese Informa-
tion gelangt der besonders Interessierte auch
durch einen kurzen Blick in Standardwerke der
Medizin. Kommen dann noch Informationen über
den unterschiedlichen Gehalt an Vitamin K in
bestimmten Futterstoffen, wie sie von Nagern
aufgenommen werden könnten, hinzu, möchte
man in einem ersten Wurf – fälschlicherweise –
auf eine Vitamin K abhängige Wirksamkeit von
Rodentiziden mit Antikoagulanzien schließen.
Dies kann einem Laien sicherlich nicht nach-
getragen werden. Erst kürzlich wurde in einem
Zeitungsartikel von einem erhöhten Rattenauf-
kommen berichtet. Dies wurde von Jägern gegen
Ende 2014 im Landkreis Aurich beobachtet. Er-
gänzt wurde dies zudem mit der Aussage eines
Schädlingsbekämpfers, dass die Wirkung von
Antikoagulanzien bei Aufnahme von Vitamin K-
reichem Futter nachlässt, in der Region würde
schließlich viel Mais angebaut. Dies ist Anlass
genug, sich mit dem Wirkmechanismus von An-
tikoagulanzien zu beschäftigen.
Antikoagulation ist aus pharmakologischer
bzw. toxikologischer Sicht ein komplexes Gebiet.
Ohne den Menschen mit der Ratte zu vergleichen,
lassen sich Grundzüge der Wirkung in Analogie
zur Humanmedizin erklären.
Die Blutgerinnung geschieht nach Verlet-
zungen oder als physiologischer Prozess im Kör-
per. An diesem Vorgang ist eine Reihe von Stoffen
in einer Kaskade an Reaktionen beteiligt. Diese
sogenannten Gerinnungsfaktoren werden z.T. in
der Leber gebildet. Blutgerinnungshemmer mit
Vitamin K-Antagonisten setzen bei der Synthe-
se von Vorstufen zu diesen Gerinnungsfaktoren
an. Ein normaler Ablauf dieses Bildungsprozesses
benötigt Vitamin-K-Hydrochinon, welches sich
aus Vitamin-K-epoxid regeneriert. Letztlich ist
es dann das beteiligte Enzym, die Vitamin-K-
epoxid-Reduktase, welches durch Cumarinde-
rivate gehemmt wird. Der ganze Ablauf wird
gestört. Im letzten Effekt verklumpt das Blut
weniger leicht. Damit ergibt sich auch der sy-
nonyme Begriff Blutverdünner, der sich auf Me-
dikamente bezieht.
Bei verschiedenen krankhaften Erschei-
nungen wird es notwendig, dass die Blutgerin-
nung anhaltend gehemmt werden muss. Blut-
gerinnungshemmer helfen Risiken zu senken.
Da ist beispielsweise der Schlaganfall, bedingt
durch Herzrythmusstörungen wie das Vorhof-
flimmern. Cumarinderivate (exakt 4-Hydroxi-
cumarin-Derivate) sind nur eine Wirkstoffklasse.
Weitere sind z. B. Heparine. Einziger Wirkstoff,
der auch als Rodentizid Anwendung findet, ist
Warfarin. Die therapeutische Breite von Warfa-
rin ist gering. Das bedeutet, dass für die in der
Medizin nutzbare Dosis schnell die Schwelle zur
Überdosierung oder Unterdosierung erreicht ist.
Die Patienten werden überwacht, dabei wird der
INR-Wert (auf den INR-Wert stößt man wiede-
rum bei den Angaben zu Maßnahmen bei Ver-
giftungen im Sicherheitsdatenblatt) bestimmt.
Er ist ein Indikator für den Gerinnungszustand
im Blut. An diesem Punkt setzt möglicherweise
die falsche Logik an. So bespricht man durch-
aus bei der medikamentösen Einstellung eines
Patienten zur Thrombosebehandlung oder zur
Schlaganfallprophylaxe die Sachlage, dass viel
Vitamin K-haltige Kost Einfluss auf die Wirkung
von Cumarinderivaten haben kann. Hohe Ge-
halte Vitamin K über 100µg/100g werden für
grünes Gemüse, z. B. Brokkoli angegeben, bei
1
4