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Die Ex-Press

Berufsinformation des DSV e.V.

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Wissenswertes

Geflügelte Aufräumer

Für Fliegen sind verwesende Leichen be-

vorzugte Objekte der Begierde. Hier legen

sie ihre Eier ab, und die Entwicklung vom

Ei über die Larve bis zur fertigen Fliege

verläuft so präzise, dass sie als Fliegenuhr

den Todeszeitpunkt einer Leiche verraten

kann.

Fliegen können den Geruch der Verwesung be-

reits auf eine Entfernung von über hundert Me-

tern wahrnehmen. Verwesende Kadaver ziehen

Fliegen magisch an, wissenschaftlich spricht man

dabei von Nekrophagie. Die weibliche Fliege ei-

ner nekrophagen Art legt für eine gedeihliche

Entwicklung der Larven ihre Eier auf Kadavern

ab. Das verwesende Fleisch dient ihren Maden

als Brutstätte und Nahrung. Dieser Vorgang ge-

hört zum Kreislauf des Lebens und ist ökologisch

gesehen von großer Bedeutung für die Aasbesei-

tigung. Fliegen bzw. ihre Maden wissen mit ihrer

hohen Fressgeschwindigkeit zu beeindrucken. Der

berühmte Naturforscher Carl von Linné verglich

die Fliegen sogar mit Löwen, wonach drei Flie-

gen einen Pferdeleichnam in der gleichen Zeit

vertilgen könnten wie ein Löwe.

Zu den bekannten nekrophagen Fliegenfami-

lien zählen die Schmeißfliegen, Stubenfliegen,

Fleischfliegen, Buckelfliegen oder Käsefliegen.

Diese treten in vielen Gattungen und Arten auf.

Sie unterscheiden sich sowohl im Körperbau als

auch in ihren Vorlieben. Weibliche Fleischfliegen

gebären lebende Larven, während die Weibchen

der meisten anderen Fliegenarten Eier ablegen.

Stubenfliegen haben eine Vorliebe für mensch-

liche Ausscheidungen, andere Fliegen bevorzugen

Aas. Die aasfressenden Fliegen unterscheiden sich

dadurch, in welchem Stadium der Verwesung sie

die Kadaver besiedeln. Die dunkelblau glänzenden

Schmeißfliegen sind typische Erstbesiedler auf

frischen Kadavern, während schwarze Käseflie-

gen viel später kommten, ein bis zwei Monate

nach dem eingetretenen Tod eines Lebewesens.

Die Entwicklung vom Ei zur fertigen Fliege

folgt einem Zyklus, der für jede Art charakteri-

stisch ist. Dieser Zyklus wird auch von der um-

gebenden Temperatur und Feuchte beeinflusst.

Wenn die Maden nicht wie bei den Fleischfliegen

lebend geboren werden, so schlüpfen sie meist

innerhalb von Stunden aus einem etwa 1-2 Milli-

meter großen Ei. Bereits nach einem Tag können

Maden eine Größe von einem halben Zentimeter

erreichen und innerhalb einer Woche auf eine

Länge von knapp zwei Zentimetern heranwach-

sen. Dann wandern sie für die Verpuppung aus

den feuchten Kadavern heraus in trockenere und

vor Licht geschützte Bereiche wie z.B. den Deckel

einer Biotonne. Nach einem etwa vierwöchigen

Stadium der Verpuppung, wissenschaftlich Pu-

parium genannt, schlüpft die fertige Fliege aus

der Puppenhülle. Vor Ort verbleibt eine leere

Hülle, das sogenannte Tönnchen.

Dieser Entwicklungszyklus läuft derart präzi-

se ab, dass man ihn als Fliegenuhr zur Bestim-

mung des Todeszeitpunktes einer Leiche nutzen

kann. Die forensische Entomologie, so die fach-

liche Bezeichnung der kriminalistischen Insek-

tenkunde, untersucht die Todesumstände eines

Leichnams anhand der Besiedlung mit Insekten.

Die Besiedlung eines Leichnams mit Fliegen und

deren Maden kann nicht nur bei Straftaten, son-

dern auch bei natürlichem Tod, Selbsttötung oder

Unfall wichtige Hinweise auf die Todesumstän-

de geben. Deutschlands bekanntester Insekten-

kundler, Mark Benecke, brachte der forensischen

Entomologie große mediale Aufmerksamkeit. Das

größte Interesse liegt zumeist in der Bestimmung

des Todeszeitpunktes. Mark Benecke konnte bei-

spielsweise als Gutachter den Todeszeitpunkt ei-

ner Pastorenfrau bestimmen und dazu beitragen,

ihren Mörder zu finden. Die Größe der in der Lei-

che angetroffenen Schmeißfliegenmaden ergab

in diesem Fall, dass die Frau drei Tage vor dem

Auffinden starb. Der Täter hatte zu dieser Zeit

kein Alibi, und zusammen mit weiteren Hinwei-

sen wurde er schließlich überführt.

Als Erstbesiedler beginnen Schmeißfliegen

bereits kurz nach Eintritt des Todes damit, einen

Kadaver zu besiedeln. Dabei legen die Weibchen

ihre Eier bevorzugt in die leicht zugänglichen,

feuchten Höhlen von Augen, Nase und Mund. Ma-

den benötigen eine feuchte Umgebung und für

ihre Mundwerkzeuge eine weiche Beschaffenheit

der Kadaversubstanz. Zusätzlich ist die Witte-

rung zu berücksichtigen. Nach Benecke können

Schmeißfliegenmaden bei schwülwarmer und

feuchter Witterung einen kleinen Körper binnen

zwei Wochen „freiskelettieren“, ein Prozess, der

bei kühler und trockener Witterung Jahre dauern

kann. Da eine starke Besiedlung durch Schmeiß-

fliegen mit deutlich wahrnehmbaren Geräuschen

und manchmal mit der Verdunklung eines Raumes

einhergeht, können auch Laien diese Hinweise

auf eine Leiche gut erkennen.

Mit zunehmender Verwesung besiedeln nach

den Schmeißfliegen andere Fliegen, wie die

Fleisch- oder Käsefliegen, den Kadaver. Die zeit-

lichen Etappen der Verwesung sind insbesondere

bei freiliegenden Kadavern durch verschiedene

Besiedlungswellen gekennzeichnet.

Bei begrabenen Leichen kommen weniger

und andere Insekten ins Spiel wie beispielswei-

se die Buckelfliegen. Diese sind fähig, einen

halben Meter tiefe Gänge in die Erde zu graben.

Bei länger liegenden Leichen muss zur Be-

stimmung der Todesumstände das gesamte Be-

siedlungsmuster aus den angetroffenen Maden-

arten, deren Anzahl, Größe und Generationen

analysiert werden. Dabei sind die Witterungs-

verhältnisse während der Liegezeit zu berück-

sichtigen. Das Wissen um die verschiedenen Ent-

wicklungszyklen der angetroffenen Arten dient

nun als Fliegenuhr zur Bestimmung des Todes-

zeitpunktes. In günstigen Fällen und wenn die

Leiche nicht schon zu lange liegt, kann der To-

deszeitpunkt insektenkundlich bis auf die Stun-

de genau bestimmt werden.

Von Ansgar Bach

Die Goldfliege ist eine Art aus

der Familie der Schmeißfliegen.

Foto von Calibas auf

Wikipedia.en

Schmeißfliegenmaden auf schon skelettiertem

Kadaver. Bild: A. Bach, bearbeitet nach Wikipedia

Schützen & Erhalten · März 2016 · Seite 70