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Glosse

Ein Plädoyer für die Pünktlichkeit ...

... ist wohl das Letzte was intimere Weggefährten des Glossisten an dieser Stelle erwartet haben

Hatte man bislang häufig den (täuschen-

den!) Eindruck, dass eher Kalendersprüche

wie „Wer zu spät kommt, muss nicht

warten“ oder „zu spät kommt man immer

rechtzeitig“ die Empfindung von Zeit

und Raum des Verfassers bestimmten,

mag die Überschrift dieser Druckschrift

mundoffenstehendes Verwundern hervor-

rufen, gleichwohl hat sie einen ernsten

Hintergrund.

Hätte ich nämlich den freundlichen Mahnungen des

„Lektorats“ aus Köln, meine Seite-3-Gebrauchslyrik

zum vereinbarten Abgabetermin zuzuschicken, Ge-

hör geschenkt, oder gar mein Manuskript unauf-

gefordert vor Redaktionsschluss vorgelegt, wäre es

mir erspart geblieben, nach den schrecklichen Er-

eignissen am 13. 11. in Paris den Spagat zwischen

profanen Bierdeckelgeschichten und Kriegsbericht-

erstattung versuchen zu müssen.

Ist es angesagt, sich einzureihen in die Ket-

te der vielen anderen Kommentatoren, die sich, je

nach Gesinnung, Parteizugehörigkeit und Grad des

persönlichen Gutmenschentums bemüßigt fühlen,

Gegenwart und Zukunft im grellsten

Schwarz-Weiß zu schildern?

Oder sind trotz, oder gerade vor

dem Hintergrund der aktuellen Ge-

schehnisse, doch Grau- oder gar opti-

mistische Pastelltöne die Sprachfarbe

der Stunde?

Folgt man den Verschwörungstheo-

retikern, die vermuten/behaupten, dass

seit Jahrzehnten alles einem perfiden

Plan folgt, entworfen von skrupellosen

Wirtschaftshaien, deren Ziel die Unterjochung der

Völker und die Weltherrschaft des Kapitals ist?

Schließt man sich den Thesen der Paranoiker

an, die unter jedem Kopftuch oder Kaftan Djiadisten

mit Sprengstoffgürteln verorten?

Oder stimmt man ein in den fröhlichen Will-

kommenschor der Altruisten, die das in der Be-

völkerung weit verbreitete Motto: „Die Toleranz

wächst mit der Entfernung zum Problem“ für sich

umgekehrt haben und jeden Mahner sofort in den

rechten Senkel stellen?

ICH WEISS ES NICHT !

Jedes Lager für sich hat ein buntes

Portfolio an durchaus plausiblen Argu-

menten, medial unterfüttert mit den

eindrücklichsten Bildern, die beim

Betrachter, je nach Intention der

Chronisten, die gesamte Bandbreite

menschlicher Emotionen hervorrufen,

von Hass und Verzweiflung, über Mit-

gefühl und Zuneigung, bis hin zu Rüh-

rung und Freude.

Die Wahl, welche Gruppierung

einem am nächsten steht, muss jeder für sich selber

festlegen, ich wage jedoch die Prognose, dass keine

Entscheidung allen Aspekten gerecht werden kann.

In diesem Sinne – demnächst lieber eine

Stunde zu früh als eine Minute zu spät

Ihr Ralf Hunstock

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Schützen & Erhalten · Dezember 2015 · Seite 5