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Schützen & Erhalten · September 2016 · Seite 73

DIE EX-PRESS

Berufsinformation des DSV e.V. |

Wissenswertes

len gelieferte Bild ist dann auch sehr eng, so

als ob wir durch einen Tunnel oder durch ein

altes Seemannsfernrohr schauen würden. Diese

punktförmigen Informationen werden über das

Facettenauge wie ein Mosaik zu einem Bild zu-

sammengesetzt. Man kann also sagen, für ein

Insekt sieht die Umwelt etwa so aus, als ob wir

ein Ministeckbild betrachten. Mehr oder weni-

ger pixelig. Die Auflösung der Pixel hängt na-

türlich auch mit der Gesamtheit der Einzelaugen

im Facettenauge zusammen. Mit entsprechend

vielen Augen kann auch ein Seheindruck wie

auf den alten Farbabzügen unserer Kleinbild-

filme entstehen, in seidenmatt versteht sich.

Bei den aktiven Jägern unter den Insekten mit

sehr großer Augenanzahl im Komplexauge kön-

nen Bilder entstehen, die an die Leistung ein-

zelner Linsenaugen der Wirbeltiere heranreichen.

Letztendlich setzen wir unser gesehenes Bild

auch aus Einzelpunkten zusammen. Lediglich

die Anzahl der Sinneszellen auf unserer Netzhaut

ist viel größer. Somit ist also ein Facettenauge

nicht weniger leistungsfähig als unsere Augen.

Es gibt halt Vor- und Nachteile.

Besonders gut können Insekten Bewegung

erkennen. Fliegenaugen können 5–6 mal soviel

Einzelbilder in der Sekunde unterscheiden, als

der Mensch. Wenn wir das mal umgangssprach-

lich ausdrücken, sehen sie „öfter“ bzw. werten

die Seheindrücke in kürzeren Zeitabständen aus

als wir und können dementsprechend schneller

auf eine Bewegung reagieren. Das Komplexau-

ge eignet sich hervorragend zur Vektorrechnung

(Bewegungsveränderung) und deshalb sind Wes-

pen und besonders Libellen hervorragende Jäger.

Natürlich haben auch die Beutetiere ein ähnlich

gutes Sehvermögen. Es ist ein kontinuierliches

Wettrüsten, was die Jäger nötigt, immer ein

Stück besser zu sein als die Beute, denn nicht

jede einzelne Jagd ist erfolgreich. Nur wir mit

unserem schön aufgelösten Umweltbild haben

das Nachsehen, wenn wir versuchen mit un-

serer fuchtelnden Hand fliegende Insekten zu

verscheuchen oder zu fangen.

Eine andere Besonderheit der Insektenaugen

ist das Sehen in anderen Wellenlängen als es

unser Linsenauge vermag. An Bienen und Flie-

gen wurde hinreichend demonstriert, dass In-

sekten UV-Licht sehen können. Das machen wir

uns in unserem Tagesgeschäft mit den gängigen

Lichtfallen zu Nutze. Für Insekten ist es wich-

tig, die Richtung der stärksten UV-Lichtemissi-

on bestimmen zu können. Dort ist zunächst der

Himmel und signalisiert ihnen freien Flugraum.

Für die Heimkehr sozialer Insekten zum Stock,

ist das UV-Licht Bestandteil der Orientierung.

Auch flüchtende oder aufgescheuchte Insek-

ten fliegen bevorzugt in Richtung der stärksten

UV-Quelle. Deshalb funktioniert ein UV-Licht in

der Bäckertheke zunächst nicht, wenn die flie-

genden Lästlinge noch auf der Suche nach Zu-

cker sind. Ungerührt krabbeln viele Wespen über

das klebrige Hefegebäck, bis sie satt sind. Erst

beim Abflug ist entscheidend, ob das aufgestellte

Handtaschensolarium die größte sichtbare UV-

Lichtquelle ist. In einem gut ausgeleuchteten

Verkaufsraum eher unwahrscheinlich.

Durch die Erforschung des Farbsehens an Bie-

nen hat man lange Zeit das Farbsehen der Bienen

auf alle Insekten verallgemeinert. Anfang des

20. Jahrhunderts fand man heraus, Bienen sehen

grün, blau und ultraviolett und deren Mischtö-

ne. Rot können sie nicht wahrnehmen und ist

deshalb für das Auge keine Information, wirkt

also schwarz. Wenn wir uns in eine Blumenwie-

se stellen und gedanklich alle roten Farben mit

schwarz ersetzen, haben wir eine grobe Vor-

stellung, wie es für die Biene aussieht. Kleiner

Schönheitsfehler: viele rote Blüten haben z.B.

im Inneren Flächen, die UV-Licht abstrahlen.

Untersuchungen an Schmetterlingen (Weißlinge

und Ritterfalter) haben gezeigt, dass diese sehr

wohl (zusätzlich) rot sehen können. Diese tag-

aktiven Arten sehen also rot, grün, blau und

ultraviolett. Sie können also mit allen Farben

angelockt werden und reagieren daher auch auf

UV-Lichtfallen. Der Versuch aber Lebensmittel-

motten (Pyralidae) mit UV-Lichtfallen anzulocken

ist bei den dämmerungsaktiven Faltern eher sinn-

los. Da funktionieren Pheromonfallen natürlich

deutlich besser. Natürlich gibt es Zufallsfänge

in UV-Lichtfallen. Wer jetzt berichtet, die ganze

Klebefläche war voll mit Dörrobstmotten sollte

mal darüber nachdenken, ob nicht sich zufällig

ein einzelnes Selbstmörderweibchen verflogen,

noch eine Weile vor sich hingeduftet und –sprich-

wörtlich- den Rest erledigt hat.

Die letzte Besonderheit des Insektenauges

ist die Fähigkeit, polarisiertes Licht zu erkennen.

Die Schwingungsrichtung von reflektiertem und

gestreutem Licht wird in den länglichen Seh-

farbstoffen erkannt und ausgewertet. Dadurch

können Insekten auch bei bewölktem Himmel

den Stand der Sonne erkennen und navigieren.

Also, wenn wir das nächste Mal einer Wespe

sagen, „..schau mir in die Augen Kleine..“ dann

Bei der Libelle

sind zwei Halbkugeln weit

getrennt und ermöglichen

perspektives Sehen. In der Mitte

sieht man deutlich das licht-

empfindliche Stirnauge.

Bei den jagenden Libellen finden wir die höchste Zahl

an Einzelaugen in den Facettenaugen.

Spinnen haben, anders als die Insekten, Linsenau-

gen. Diese sind rings am Kopf verteilt um ein mög-

lichst großes Gesichtsfeld zu erhalten.

zollen wir diesen Tieren unseren Respekt, wel-

che faszinierende Leistung die Facettenaugen

vollbringen. In manchen Dingen übertreffen sie

unser gutes altes Linsenauge und in anderen As-

pekten reichen die Komplexaugen ziemlich nah

an unsere Sehfähigkeiten heran.

A.B.