Schützen & Erhalten · Juni 2012 · Seite 36
Dank seiner ausgezeichneten Lage im Zen-
trum des Britischen Empires war Glasgow schon
im 18. Jahrhundert der zentrale Umschlagplatz
im Handel mit Tabak und Baumwolle aus den
britischen Kolonien. 100 Jahre später, im Zuge
der industriellen Revolution, wurde Glasgow zu
einer der reichsten Städte der damaligen Welt.
Kohle und Eisen aus dem Umland sorgten für
eine rasant wachsende Schwerindustrie, während
gleichzeitig die Baumwollindustrie und Textilher-
stellung florierten und Arbeiter aus Schottland,
Irland und dem übrigen Europa in die aufstre-
bende Stadt zogen. Wohlhabende Händler und
Unternehmer finanzierten spektakuläre Bauten,
Parks, Museen und Bibliotheken. Fabriken wur-
den als wahre Prachtbauten errichtet. Zahlreiche
Galerien siedelten sich an und mit der Archi-
tektur von Charles Rennie Mackintosh, dessen
Bauwerke Ende des 19. Jahrhunders stilbildend
wurden, entstanden außergewöhnliche Gebäude,
wie die „Glasgow School of Art“ oder die heute
rekonstruierten „Willow Tearooms“.
Den Niedergang der 1970er und 1980er
Jahren, in dem Stahlwerke, Kohleminen und
andere Schwerindustrien in und um Glasgow
geschlossen wurden, bezahlte die Stadt
mit Zerfall und Massenarbeitslosigkeit,
von dem sie sich erst gegen Ende des
20. Jahrhunderts erholte.
Heute überrascht Glasgow mit einem kom-
pletten Imagewandel. Die einstige Industriestadt
hat sich in ein modernes Kultur- und Kongress-
zentrum gewandelt. So wurden in den vergan-
genen 15 bis 20 Jahren große Summen zur Re-
novierung und Restaurierung einer Vielzahl von
Gebäuden investiert. Honoriert wurde dieser
Aufwand 1990 mit der Ernennung Glasgows zur
Europäischen Kulturhauptstadt und 1999 mit der
Verleihung des Architektur- und Designpreises.
Entsprechend beeindruckt Glasgow heute mit
zahlreichen modernen wie alten Gebäuden, häu-
figst aus lokal abgebautem rotem und gelbem
Sandstein, der kunstvoll behauen ist und einen
warmen Kontrast zu den dunklen Glasfassaden
der Bürotürme bildet.
Highlands
Wer nach Schottland reist, der sollte wissen:
Schottland ist weit mehr als nur Edinburgh und
Glasgow. Schottland, das sind auch die weiten
Hügel, die tiefen Täler, herrenlos scheinende
Schafe, die Einsamkeit der Highlands und na-
türlich auch der Whisky. Wer diesmal mit dabei
war, konnte sich ausgiebig von alledem überzeu-
gen, denn selbstverständlich gehörte auch ein
Ausflug in die endlosen Weiten des schottischen
Hochlandes zum Exkursionsprogramm. Vorbei an
Schlössern, Burgen und Monumenten, entlang
an herrlich gelegenen Seen, hier Lochs genannt,
Exkursion
und Orten nationaler Tragödien. Überhaupt ist
die schottische Geschichte voll von all den Tra-
gödien gescheiterter Helden, verlorener Schlach-
ten, Verrat und enttäuschter Hoffnungen. So bo-
ten die langen Busfahrten durch die Highlands
ein Seminarprogramm ganz anderer Art. Mit der
Sprache des erfahrenen Erzählers, der man sich
nicht entziehen kann, gab Seminarleiter Christian
Fahrig passend zur vorbeiziehenden Landschaft
einen Einblick in die schottische Seele. Wie an-
ders lässt sich ein Land verstehen, dessen heute
noch verehrte Königin geköpft, dessen entschei-
dende Schlachten allesamt verloren gingen und
dessen Streben nach nationaler Einheit und Größe
regelmäßig den Zwistigkeiten der Clans geopfert
wurde. So überrascht es auch nicht, dass die Mo-
numente der nationalen Identität, auf die man
hier auf Schritt und Tritt trifft, nicht Königen
oder Feldherrn huldigen, sondern Dichtern wie
Sir Walter Scott oder Robert Burns.
Es bleibt anzunehmen, dass der ein oder
andere am Ende der einwöchigen Exkursion die
Gedanken des uns unbekannten schottischen
Auswanderers nach Amerika geteilt haben mag:
Tha mi cinnteach gum bi mi a’ tilleadh
do dh’ Alba
(Ich bin sicher, dass ich nach
Schottland zurückkehren werde)
fr
Fotos: Dietger Grosser,
Irene Remes, Axel Werner
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