Schützen & Erhalten · Juni 2012 · Seite 46
Wirtschaftskrise ist zum Glück woanders, 2011
kletterten die deutschen Steuereinnahmen auf
Rekordniveau und unsere Regierung hat die
Spendierhosen an. Wann bitte tilgen wir unsere
eigenen Schulden, wenn nicht jetzt? Die Regie-
rung verkündet ungeniert: „Die Neuverschuldung
wurde reduziert.“
Die Kleinen leiden unter dem Erfolg
der Großen
bilden die breite Masse der Steuerzahler, sind
jedoch für Parteien weitgehend uninteressant.
Generell fehlt es dem Mittelstand an politischem
Einfluss, der Wähleranteil der KMU ist zu gering,
um im Geschacher um Wählerstimmen Interesse
zu wecken. Geht ein einzelner Betrieb insolvent,
kräht kein Hahn nach einer Auffanggesellschaft.
Gehen einer kleinen Kommune 249 Arbeitsplätze
verloren, hat sie jedoch ein handfestes Problem.
Unterm Strich zählen mehr als 90% der deut-
schen Unternehmen zum vielgelobten, in Kri-
senzeiten aber wenig beachteten, Mittelstand.
Wer sich in der Krise nicht selbst rettet, den
rettet keiner! Stattdessen verweisen Politiker
dann plötzlich auf die freien Kräfte des Marktes.
Politik kontra Vernunft
Politik oder Großkonzerne ärgern uns zwar,
doch um mit den Wutbürgern auf die Straße zu
gehen, dazu haben wir Mittelständler keine Zeit:
Wir müssen arbeiten, um Steuern und Gehälter
zu bezahlen, müssen Innovationen entwickeln,
um Schritt zu halten im globalen Wettbewerb.
Als verantwortungsvoller Bürger geht der Mittel-
stand stets zur Wahl. Ginge er nicht mehr hin,
würde das auch nichts ändern. Die gewählten
Vertreter vertreten ihn nicht, so oder so. Erfolg-
reiche Unternehmer aus dem Mittelstand müssen
ihr Schicksal wohl auch in der Politik selbst in
die Hand nehmen. Sie tragen ja bereits rund um
die Uhr Verantwortung für ihre Mitarbeiter, ihre
Familien und die Gesellschaft und wären sicher
in der Lage, mit einem politischen „Programm
der Vernunft“ vielen Menschen aus der Seele zu
sprechen. Doch wer verdient dann das Geld für
die Wohlstandsgesellschaft? Und was hat große
Politik mit gesundem Menschenverstand zu tun?
Was man vom Mittelstand lernen kann
Ob Politiker oder Großkonzerne, von der
Mentalität des Mittelstandes könnten viele „da
oben“ sich etwas abschauen. Dass es wichtig
ist, in guten Zeiten für schlechte vorzusorgen.
Nicht mehr auszugeben, als man einnimmt und
Schulden zu vermeiden, weil sie abhängig ma-
chen. Statt kurzfristiger Profitmache in Genera-
tionen zu denken und zu handeln.
Gierig zu sein nach Erfolg, nicht nach Geld.
Rainer Haug
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business_environment/n26026_de.htm
Meinungen
Der Mittelstand: Einer muss eben die Zeche zahlen
Offener Brief von Rainer Haug, Geschäftsführung epasit GmbH Spezialbaustoffe
Die Regierung spannt Rettungsschirme für
Südeuropa auf und die EU kürt Serbien
zum Beitrittskandidaten. Durch Misswirt-
schaft und Spekulation ins Schleudern
geratene Banken werden gerettet, weil
sie „systemrelevant“ sind. Unser Kurz-
zeit-Bundespräsident a. D. wird jährlich
mit 200.000 Euro plus Chauffeur und
Sekretariat vom Steuerzahler unterstützt
– lebenslänglich.
Großunternehmen, die häufig kaum Steuern
bezahlen, erhalten derweil fette Prämien
von der EU, wenn sie Werke in
Deutschland schließen
und nach Rumänien
oder die Slowakei ab-
wandern. Sind die Fri-
sten abgelaufen, wird
auch dort dichtgemacht
und die Produktions-
stätten wandern weiter.
Wenn Automobilherstel-
ler Rekordgewinne einfah-
ren und Boni ausschütten,
klingt das gut. Nicht aber
in den Ohren vieler Zuliefe-
rer, die immer stärker unter
Preisdruck geraten. Die Do-
minanz der Großen zieht
sich durch viele Branchen:
Ob Landwirtschaft, Auto-
mobil oder Bau, die Über-
lebenschancen der Kleinen
schwinden unter dem Diktat
der Konzerne. Keiner spricht
von insolventen Handwerksbe-
trieben, wie beispielsweise Stu-
ckateuren oder von Bauern, die
trotz steigender Erträge immer
weniger verdienen. Selbst in der
Bestattungsbranche sind Discounter
auf dem Vormarsch, die „Geiz ist Geil“-
Welle überrollt eine der letzten Bastionen
des Mittelstandes.
Mittelstand mangelt es an Lobby
Der Mittelstand wird gern gelobt als Motor
der deutschen Erfolgswirtschaft. Was ist eigent-
lich Mittelstand? Es sind kleine und mittlere Un-
ternehmen, meist Familienbetriebe, soziologisch
gesehen ist es die bürgerliche Mitte
(1)
. Laut EU-
Definition gilt als Kleinunternehmer, wer bis zu
49 Beschäftigte oder einen Umsatz von bis zu
10 Millionen Euro im Jahr hat, mittlere Unter-
nehmen haben bis zu 249 Mitarbeiter oder bis
zu 50 Millionen Euro Umsatz. Die dritte Gruppe
sind sogenannte Kleinstunternehmer, Firmen mit
weniger als 10 Beschäftigten und einem Umsatz
von maximal 2 Millionen Euro
(2)
. Gerade die Klein-
stunternehmer, darunter viele Handwerksbetriebe,
Einer muss eben die Zeche zahlen ...
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