Schützen & Erhalten · Dezember 2001 · Seite 18
über die Aufnahme eines Pro-
zesses machen will, muss er die
Befundtatsachen eindeutig do-
kumentieren, aus denen er die
Schlussfolgerung seines Gutach-
tens ziehen will. Verletzt er die-
se Verpflichtung, macht er sich
seinem Auftraggeber gegenüber
schadensersatzpflichtig, wenn
im Prozess die Befundtatsachen
nicht mehr nachweisbar sind.
§§ 635 BGB, 68 ZPO, OLG
Celle, Urteil vom 29. Mai 2000
– 4 U 45/00 -.
Aus den Gründen:
Die Berufung des Beklagten
hatte keinen Erfolg.
1. Die zwischen den Parteien
umstrittene Frage einer Neben-
interventionswirkung ist für die
Entscheidung des Rechtsstreits
ohne Bedeutung.
a) Unzutreffend ist in die-
sem Zusammenhang das Argu-
ment des Beklagten, eine Ne-
beninterventionswirkung i.S.
von §68 ZPO des Inhalts, dass
der Nebenintervienent im Fol-
geprozess nicht mit der Behaup-
tung gehört wird, der Vorpro-
zess sei unrichtig entschieden
worden, könne deshalb über-
haupt nicht eintreten, weil ihm,
dem Beklagten, im Vorprozess
erst mit der Einlegung der Be-
rufung der Streit verkündet
worden ist. Aus dem Gesetz er-
gibt sich eindeutig nicht, dass
eine Streitverkündung nur Wir-
kungen entfaltet, wenn sie be-
reits in erster lnstanz erfolgt.
Der Gedanke der Nebeninterven-
tion beruht vielmehr darauf,
dass der Streitverkündete dann
an die tatsächlichen und recht-
lichen Feststellungen des Vor-
prozesses gebunden ist, wenn
er darauf hat Einfluss nehmen
können und deshalb eine In-
terventionswirkung grundsätz-
lich nicht eintreten kann, wenn
die Streitverkündung erst nach
Schluss der mündlichen Ver-
handlung zweiter Instanz erfolgt
[1]. Ob für einen Streit aus-
schließlich um Rechtsfragen in
einem Prozess mit der Möglich-
keit, Revision einzulegen, et-
was anderes gilt, bedarf keiner
Entscheidung. Richtig ist ledig-
lich, dass der Nebenintervienent
nicht an Feststellungen gebun-
den ist, die er nicht beeinflus-
sen konnte. Wenn deshalb dem
Nebenintervenienten der Streit
erst in der Berufungsinstanz
verkündet wird, ist er durch §68
2. Halbs. ZPO geschützt, der
bestimmt, dass er mit der Be-
hauptung gehört wird, die
Hauptpartei habe den Rechts-
streit mangelhaft geführt. Die-
sen Einwand erhebt der Beklagte
aber gar nicht, er beruft sich
vielmehr nach wie vor aus-
schließlich darauf, das von ihm
für die Klägerin erstattete Gut-
achten sei sachlich richtig ge-
wesen. Diese Streittrage hätte
aber im Vorprozess überprüft
werden können, wenn der Be-
klagte die zunächst von der Klä-
gerin eingelegte Berufung [2]
nicht selbst in der Erkenntnis,
dass das Rechtsmittel aussichts-
los sei, zurückgenommen hät-
te.
b) Die lnterventionswirkung
spielt aber deshalb keine Rol-
le, weil sie sich nach gefestig-
ter Rechtsprechung [3] nur auf
die notwendigen Urteilselemen-
te bezieht, die das Gericht im
Vorprozess aufzuklären verpflich-
tet war. In dem Vorprozess zwi-
schen der Klägerin und dem
Nachbarn hing die Entscheidung
unter Berücksichtigung von §
906 Abs. 2 Satz 2 BGB sowie
des sog. nachbarrechtlichen
Ausgleichsanspruchs [4] grund-
sätzlich nur davon ab, ob die
Klägerin beweisen konnte, dass
die vom dortigen Beklagten,
dem Nachbarn, durchgeführten
Bauarbeiten, für die Risse an
den in ihrem Eigentum stehen-
den Gebäude kausal waren.
Weitere Fragen im Sinne eines
notwendigen Urteilselementes
brauchte das Gericht in diesem
Vorprozess nicht zu prüfen. Der
Beklagte haftet indessen nicht
bereits dann, wenn er die Kau-
salität bejaht, ein anderer Gut-
achter sie aber in Zweifel ge-
zogen hat. Gerade bei der Be-
urteilung
schwieriger
Kausalitätsprobleme über in der
Natur ablaufende Vorgänge, bei
denen niemand unmittelbarer
Beobachter war und auch kei-
ne technischen Aufzeichnungen
vorliegen, ist es durchaus mög-
lich, dass zwei Gutachter mit
vertretbaren Argumenten die
Wahrscheinlichkeit der Kausa-
lität unterschiedlich einschät-
zen. Darüber hinaus können
beiden Gutachtern unterschied-
liche Erkenntnismöglichkeiten
zur Verfügung stehen. Nach
gefestigter Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes [5] sind
Aufträge zur Erstellung eines
Privatgutachtens grundsätzlich
als Werkverträge i.S. von §631
BGB einzuordnen mit der Fol-
ge, dass der Auftraggeber bei
einer schuldhaft unrichtigen
Bewertung Schadensersatzan-
sprüche aus §635 BGB geltend
machen kann. Auch in diesem
Zusammenhang wird deutlich,
dass im Vorprozess die notwen-
digen Feststellungen für eine
Haftung des Beklagten nicht ge-
troffen worden sind – und nicht
getroffen werden durften und
getroffen zu werden brauchten,
weil im Vorprozess ausschließ-
lich die Frage der Kausalität eine
Rolle spielte, der Beklagte aber
nach dem zuvor Gesagten nur
haftet, wenn seine Einschätzung
der Kausalitätsproblematik nicht
vertretbar war.
2. Auf der Grundlage der
vom Senat durchgeführten Be-
weisaufnahme ist jedoch die
Einschätzung gerechtfertigt, das
vom Beklagten für die Kläge-
rin erstattete Privatgutachten
habe eine nicht vertretbare
Bewertung der Kausalitätspro-
blematik enthalten und sei des-
halb fehlerhaft.
a) Das Gutachten des Be-
klagten für die Klägerin vom
Januar 1993 beschäftigt sich auf
gerade zehn Zeilen mit dem
Schadensbild und den Gründen
seiner Entstehung. Das ist, wie
sowohl der Gerichtsgutachter im
Vorprozess G., als auch der vom
Senat eingeschaltete Gutachter
Dr. K. übereinstimmend und
zutreffend festgestellt haben,
nicht ausreichend. Aus der Sicht
des Beklagten war eindeutig,
dass die Klägerin sein Privat-
gutachten zur Grundlage der
Entscheidung darüber machen
wollte, ob sie einen Schadens-
ersatzprozess gegen den Nach-
barn mit Aussicht auf Erfolg
führen konnte. Deshalb hätten,
wie sowohl der Sachverständi-
ge als auch Dr. K. übereinstim-
mend erklärt haben, die Befund-
tatsachen eindeutig dokumen-
tiert werden müssen, aus denen
der Beklagte den Schluss zog,
die vom Nachbarn der Klägerin
durchgeführten Arbeiten seien
für die Risse mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit
ursächlich gewesen. Der Beklag-
te hat in diesem Zusammenhang
in der mündlichen Verhandlung
vor dem Senat selbst mehrfach
eingeräumt, dass sein Gutach-
ten – weil diese Befundtatsa-
chen nicht aufgeführt sind – in-
soweit an einem Mangel leide.
Bereits dieser von dem Beklag-
ten eingeräumte Aspekt recht-
fertigt seine Haftung, denn es
lag für ihn als Fachmann auf
der Hand, dass sich die Mög-
lichkeiten eines Nachweises der
Kausalität mit Zeitablauf dra-
stisch verschlechtern würden.
Der im Vorprozess eingeschal-
tete Obergutachter Dr. K. ist
dann auch – vorhersehbar – zu
dem Ergebnis gelangt, nach
Ablauf von drei Jahren ließen
sieh keine Feststellungen zur
Kausalität mehr treffen. Wenn
die Gefahr des Beweisverlustes
aber auf der Hand lag, dann
gehörte es zu den Pflichten des
Beklagten gegenüber der Klä-
gerin, die Befundtatsachen un-
missverständlich zu dokumen-
tieren und in sein Gutachten
DIE FACHBEREICHE
Sachverständige