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Schimmelpilze
den? Nun, die Wasseraktivität von 0,8 ist in der
Tat eine magische Zahl in der Natur: So finden
unterhalb der 0,8 enzymatische Prozesse nicht
oder nur noch eingeschränkt statt, da Pilze sich
durch Exoenzyme ernähren. Vitamine zersetzen
sich ab 0,8 schneller und Öl wird ranzig (oxi-
diert). Und, auch wenn das nichts mit Schimmel-
pilzen zu tun hat, unterhalb einer Wasseraktivität
von 0,8 bekommt der Kuchen beim Backen eine
leckere, karamellige Farbe (nicht-enzymatische
Bräunung)
[2,13]
.
In gängigen Leitfäden (z.B. UBA 2005) wird
angeführt, dass mit einem a
W
-Wert von 0,8 für
fast alle relevanten Innenraumpilze die Wachs-
tumsbedingungen erreicht sind. Faktisch trifft
dies aber nur 20% typischer Innenraumgat-
tungen zu und nur 10% können überhaupt in
diesem Bereich auskeimen. Wer das nachlesen
und nachrechnen möchte, ist auch hier gut beim
Centraalbureau voor Schimmelcultures, Utrecht,
The Netherlands, aufgehoben.
Also warum nun die berühmten 80% rel.
Luftfeuchtigkeit? Weil man irgendwo die Grenze
ansetzen muss und wenn man schon Aufmerk-
samkeitswerte macht, dann auch bitte in einem
Bereich, wo sich Aufmerksamkeit fürs Eingrei-
fen tatsächlich noch lohnt. Nämlich, um höhere
Luftfeuchtigkeiten zu vermeiden und damit den
Wasserdampfdruckgradienten in den Baustoff hi-
nein flach zu halten.
Leider interessieren Pilze sich nicht die Boh-
ne für Bauphysik. Isoplethenmodelle werden von
mikrobieller Seite regelmäßig mit Nichtachtung
gestraft. Zum Beispiel in der Baustoffprüfung
im eigenen Institut an Putzen und Farben, wo
bei optimaler Temperatur und einer rel. Luft-
feuchtigkeit von 95% einfach nichts wachsen
will, trotz Fütterung und Gutzureden
[8]
… Oder,
wie Frau Prof. Petersen (HAWK) bei der Deche-
ma e. V. vortrug, massives mikrobielles Wachs-
tum auftrat, obwohl laut Sedlbauer mikrobielles
Wachstum ausgeschlossen war (Karin Petersen,
persönliche Mitteilung, MikroMatz Frankfurt/M.).
Im Falle der Baustoffprüfung ist die Erklä-
rung darin zusehen, dass es bei großflächigen
Prüfmustern eine Weile dauert, bis sich im Putz
ein a
W
-Wert einstellt, der ein Auskeimen der Test-
pilze erlaubt. Um dennoch zeitnah die Schim-
melfestigkeit eines Baustoffes prüfen zu können,
wird entsprechend vorkonditioniert
[8]
.
Im Falle unerwarteter mikrobieller Aktivität
bedarf es größerer Ursachenforschung. Grund-
sätzlich wäre zu klären, ob der Wasserdampf-
druckgradient der Innenraumfeuchte entgegen
gerichtet ist, weil z.B. der a
W
-Wert der Baustoffe
über dem der Innenraumluft liegt. Mögliche Ur-
sachen hierbei wären aufsteigende Feuchtigkeit,
Baufeuchte und vergleichbare Phänomene.
Anderseits sind ja auch die kleinen Viecher
nicht blöd, man muss ihnen zugestehen, dass
sie es wohl nicht über Jahrmillionen geschafft
hätten, wenn sie immer auf ausreichend Wasser
gewartet hätten. Man kann ja auch eine Tau-
punkterhöhung herbeiführen und somit eine
Kondensatbildung direkt auf der Zellmembran
erzeugen. Möglich wird dies durch spezifische
Polymere an der Membranoberfläche, welche auch
als Anti-Icing-Polymere fungieren und so zum
Beispiel das Überleben in der Antarktis oder im
heimischen Kühlschrank ermöglichen
[6]
.
Auch bleibt es nicht bei den typischen in-
nenraumrelevanten Gattungen. Es lässt sich in-
ternationaler Zuzug feststellen. Sogenannte mi-
krokoloniale Pilze (micro colonial fungi, MFC),
üblicherweise in der heißen Wüste von Arizona
oder der Antarktis beheimatet, sind mittlerweile
auch in Innenräumen und auf Fassaden mit Su-
per-Dry-Effekt zu finden. Diese z. T. hefeartigen
Pilze (Black Yeasts) können trotz Austrocknung
bis auf 10% Restfeuchte noch 80 Stunden ihren
Stoffwechsel aufrechterhalten und als dormante
(schlafende) Zellen überdauern. Auch nach acht
Wochen völliger Trockenheit können sie inner-
halb eines Tages bei ausreichender Feuchte bis zu
20% der ehemaligen Biomasse wieder aufbauen.
Damit sind auch Befälle auf Oberflächen mög-
lich, welche eigentlich als trocken gelten
[1,7,10]
.
Noch komplizierter wird das ganze Gefüge,
wenn man berücksichtigt, dass es bisher nahezu
unbekannt ist, wie lange der jeweilig benötigte
a
W
-Wert aufrechterhalten werden muss, damit
Keimung und Myzelbildung auf Baustoffen einset-
zen. Zur Aufrechterhaltung darf es, siehe obiges
Beispiel, ruhig mal in den Keller gehen, das ist
nicht so schlimm. Aber wie es mit der Initial-
zündung genau aussieht ist, kann keiner sagen.
Die Rede ist dabei immer von einem „längeren
Zeitraum“. Letztendlich muss festgehalten wer-
den, dass sich Daten, ermittelt auf Nährböden,
nur schwerlich auf Baustoffe übertragen lassen.
Wasseraktivität und Baustoffe
Die Wasseraktivität von Baustoffen lässt sich
messen. Vereinfacht, in dem man den Baustoff
anbohrt und innerhalb der Öffnung nach Ab-
schottung von der Innenraumluft die rel. Luft-
feuchtigkeit im Bohrloch misst. Die Messung wird
umso genauer, je geringer das Luftvolumen um
den Messfühler ist.
Für wissenschaftliche Zwecke gibt es pro-
fessionelle Messgeräte mit temperierten Pro-
benkammern und unterschiedlichen Messfüh-
lern. Die nun vorgestellten Messungen wurden
am Labmaster-a
W
(Fa. Novasina, CH) mit einer
elektrolytischen Messzelle durchgeführt. Dabei
wird letztendlich auch hier „nur“ die rel. Luft-
feuchtigkeit im Sensorenraum oberhalb der Probe
gemessen. Allerdings sorgen Temperierung und
Abschottung der Messkammer sowie ein extrem
kleines Luftvolumen oberhalb der Probe dafür,
dass die Messungen sehr genau sind. Ein sog.
Stabilitätskriterium sorgt dafür, dass die Mes-
sung dann gestoppt wird, wenn sich im Proben-
raum der a
W
-Wert der Probe eingestellt hat. Die-
se Messgeräte sind für den Lebensmittelbereich
konzipiert, wo die a
W
-Messung zur Qualitätssiche-
rung eingesetzt wird. Wir arbeiten gerade daran,
dies auch für die Baustoffprüfung zu etablieren.
Die kommerziell erhältlichen Geräte verfügen
meist über kombinierte Verfahren zur Bestim-
mung des a
W
-Wertes sowie zur Aufnahme von
Sorptionskurven. Dabei werden die zu prüfenden
Baustoffe in der Prüfkammer mittels eines per-
meablen Probenhalters über Kalibriersalze ge-
Bild 4: Tapete aus Schadensfall in 100- und 600-facher Vergrößerung mit
mikrokolonialen Pilzen, welche insbesondere extrem trockene Standorte erfolgreich
besiedeln können und nun bis in den Innenraum vorgedrungen sind. Typisch ist die
Ausbildung hefeartiger, stark pigmentierter Zellaggregate ohne „klassisches“ Myzel
und Konidien. (Foto Messal)
Bild 3: Klassische Prüfung der Schimmelfestigkeit nach EN 846 im Prüfklimaschrank
bald durch a
W
-Messungen ersetzt? (Foto Messal)
Schützen & Erhalten · Juni 2013 · Seite 25