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Sachverständige
Schützen & Erhalten · September 2010 · Seite 18
1. Es kann die Besorgnis der Befangenheit des
Sachverständigen rechtfertigen, wenn der
Sachverständige die Beweiskraft der von
den Parteien vorgelegten Unterlagen an-
zweifelt.
2. Wird ein Sachverständiger erfolgreich wegen
Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und
sein Gutachten nicht verwertet, verliert er
nicht allein deswegen seinen Vergütungs-
anspruch, sondern nur dann, wenn die Un-
verwertbarkeit seines Gutachtens auf grober
Fahrlässigkeit beruht.
3. Grobe Fahrlässigkeit erfordert, dass das Ver-
halten des Sachverständigen als eine unge-
wöhnlich große Sorgfaltspflichtverletzung
zu werten ist, bei der dasjenige unbeachtet
geblieben ist, was jedem hätte einleuchten
müssen.
(Leitsätze von RA Dr. Karlgeorg Stork, München),
ZPO §§ 42, 406; JVEG § 4 Abs. 1. OLG Nürnberg,
Beschluss vom 24. November 2008 – 2 W 2246/08
aus HDI-Gerling INGLetter, Ausgabe Dezember
2009, Seite 14–15.
Aus den Gründen:
Kein Zweifel besteht allerdings nach Auf-
fassung des Beschwerdegerichts daran, dass der
Sachverständige mit seiner Äußerung 4 des Gut-
achtens vom 8.12.2006 aus der Sicht des Beklag-
ten auch bei besonnener Betrachtungsweise die
Besorgnis begründet hat, er stehe den Parteien
nicht unvoreingenommen gegenüber.
Berechtigt und aufgrund des umfassenden
Beweisauftrages gemäß Nr. 1 des Beweisbeschlus-
ses auch gehalten war der Beschwerdeführer,
auf Bedenken gegen die Beweiskraft von sol-
chen Unterlagen hinzuweisen, die die Parteien
des Rechtsstreits auf seine Aufforderung hin zur
Verfügung gestellt hatten. Ein derartiger Hinweis
war jedenfalls veranlasst, soweit sich diese Be-
denken auf Umstände stützen, die gerade dem
Beschwerdeführer auf Grund seiner besonderen
Sachkunde auffallen konnten. Der Beschwerde-
führer hätte jedoch nicht ohne weitere Rückfra-
gen bei Gericht eine eigene Würdigung dieser
Beweise vornehmen und sein Gutachten in der
Folgezeit alleine auf diese Beurteilung stützen
dürfen. Er wäre vielmehr gehalten gewesen, in
sachlicher Form auf seine Bedenken hinzuwei-
sen und eine ausdrückliche Weisung des Gerichts
gemäß § 404a ZPO einzuholen. Dies hat der Be-
schwerdeführer nicht getan; er hat vielmehr bei
der Bearbeitung des Gutachtensauftrags die ihm
vorliegenden Schriftstücke als nicht beweiskräf-
tig angesehen und hierauf sein Gutachten auf-
gebaut. Zudem hat der Beschwerdeführer bereits
in seinem Gutachten nicht die für einen Sach-
verständigen gebotene sachliche Ausdruckswei-
se gewahrt, sondern durch Formulierungen wie
etwa „der nachgeschobene Beweisversuch vom
15. 11. 2006 ignoriert somit in unverständlicher
Weise die Inhalte der vorliegenden Planung“
(Seite 14 des Gutachtens) oder „zusammenfas-
send muss somit das Schreiben vom 15. 11. 2006
nicht nur auf Grund seiner terminlichen Proble-
matik, sondern ebenso auf Grund seiner inhalt-
lichen Fehler als völlig untauglicher Beweisver-
such bezeichnet werden“ (Seite 15 des Gutach-
tens) auch bei einer besonnenen Prozesspartei
die Befürchtung wecken können, dass der Be-
schwerdeführer ihr nicht unvoreingenommen
gegenüberstehe.
Auch ohne dass die Ausführungen des Sach-
verständigen in seiner Stellungnahme zum Be-
fangenheitsantrag herangezogen werden müss-
ten (insoweit mag dem Beschwerdeführer zugute
zu halten sein, dass auch die Beklagtenvertre-
ter insoweit deutliche Worte gewählt hatten),
hat das Landgericht Regensburg die Ablehnung
des Beschwerdeführers zu Recht für begrün-
det erklärt.
Der Vergütungsanspruch des Sachverständi-
gen entfällt aber nicht allein deswegen, weil er
erfolgreich abgelehnt worden ist. Lediglich dann,
wenn die Unverwertbarkeit seines Gutachtens auf
grober Fahrlässigkeit beruht, verliert der Sach-
verständige seinen Vergütungsanspruch. Grobe
Fahrlässigkeit erfordert, dass das Verhalten des
Sachverständigen als eine ungewöhnlich große
Sorgfaltspflichtverletzung zu werten ist, bei dem
dasjenige unbeachtet geblieben ist, was gegebe-
nenfalls jedem hätte einleuchten müssen. Dies
ist vorliegend nicht der Fall.
Im Hinblick darauf, dass die Beweiskraft der
vorgelegten Schreiben für die Beantwortung der
Gutachtenfrage tatsächlich von Bedeutung war
und der Sachverständige bei der von ihm (zu
Unrecht) selbst vorgenommenen Beweiswür-
digung auch solche Umstände berücksichtigt
hat, die er auf Grund seiner besonderen Sach-
kunde aus den Verfahrensakten sowie den ihm
übersandten Unterlagen herleiten konnte, hat
der Beschwerdeführer zwar die ihn als Sachver-
ständiger treffende Sorgfaltspflicht verletzt; sein
Verhalten kann jedoch nicht als ungewöhnlich
große Pflichtverletzung gewertet werden. Es sind
keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der
Beschwerdeführer aus einer tatsächlich gegen-
über dem Beklagten vorliegenden Voreingenom-
menheit bei der Gutachtenerstellung über das
Ziel und die ihm gesetzten Grenzen hinausge-
schossen wäre; es erscheint vielmehr plausibel,
dass er im (freilich irrtümlichen) guten Glauben
daran gehandelt hat, auf Grund des umfassen-
den Gutachtenauftrages auch abschließend die
Beweiskraft der vorliegenden Unterlagen beur-
teilen zu sollen.
Die Entscheidung macht deutlich, dass die
Ablehnung eines gerichtlich bestellten Sachver-
ständigen unter den gleichen strengen Voraus-
setzungen möglich ist wie die Ablehnung eines
Richters selbst. Es genügt hierzu die subjektive,
aber begründete Sicht einer der betroffenen Par-
teien. Ob der Sachverständige oder der Richter
tatsächlich befangen war, ist nicht entscheidend,
entscheidend ist die beim Antragsteller ausge-
löste Besorgnis. Diese Besorgnis wird hier damit
begründet, dass der Sachverständige die Beweis-
würdigung, die dem Gericht obliegt und die sich
nicht aus den technischen Sachverhalten allein
ergibt, vorgenommen hat. Der Sachverständige
muss deshalb nach §404 a ZPO konkrete Wei-
sungen seines Gerichtes einholen, wenn er über
den konkreten Gutachterauftrag hinaus Wertun-
gen treffen will.
Hiervon zu trennen ist nun wieder der Wegfall
des Vergütungsanspruchs des Sachverständigen.
Dieser entfällt nur dann, wenn ihm in seinem
Verhalten eine grobe Fahrlässigkeit – also eine
ungewöhnlich große Sorgfaltspflichtverletzung
– vorzuwerfen ist. Wer, wie im vorliegenden Fall,
rechtsirrtümlich, aber im guten Glauben sein
Gutachten erstellt, ihm sei eine umfassende
Begutachtung einschließlich einer Beweiswer-
tung zum Auftrag erteilt worden, hat Anspruch
auf Vergütung der ihm bis dahin entstandenen
Entschädigungen nach ZSEG.
Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangen-
heit; Verlust des Vergütungsanspruchs
Foto: Ell Brown