Bundesrahmentarifvertrag für das Bau-
gewerbe – Fahrtkostenabgeltung
Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg – 7 Sa 20/06 – vom 24. August 2006 (rechtskräftig)
ARBEITS- UND SOZIALRECHT
Der Arbeitgeber hat ein Wahl-
recht, ob er seinen Arbeitneh-
mern für die Fahrt zur Arbeits-
stelle eine Fahrtkostenabgel-
tung zahlt oder ob er ihnen
die Möglichkeit der kosten-
losen Beförderung mit einem
von ihm gestellten Fahrzeug
gibt. Der Arbeitgeber hat die
Möglichkeit, von der einen zur
anderen Alternative zu wech-
seln.
Der Bundesrahmentarifvertrag für
das Baugewerbe sieht in § 7 Nr.
3.1 Abs. 1 die Gewährung einer
Fahrtkostenabgeltung für die Fahrt
zur Arbeitsstelle vor, wenn diese
mindestens 10 km von der Woh-
nung des Arbeitnehmers entfernt
ist. Absatz 3 sieht vor, dass ein
solcher Anspruch nicht besteht,
wenn die Möglichkeit der kosten-
losen Beförderung mit einem vom
Arbeitgeber gestellten ordnungs-
gemäßen Fahrzeug besteht. Das
Landesarbeitsgericht Hamburg hat
in einem vom Norddeutschen Bau-
gewerbeverband erstrittenen Urteil
entschieden, dass diese Regelun-
gen dem Arbeitgeber ein Wahlrecht
einräumen, ob er dem Arbeitneh-
mer Fahrtkostenabgeltung leistet
oder aber ihm die kostenlose Be-
förderung mit einem Fahrzeug ge-
währt. Auch ein Wechsel von der
einen zur anderen Möglichkeit sei
zulässig. Ein Wahlrecht des Arbeit-
nehmers bestehe dagegen nicht.
Das Urteil enthält folgende
Leit-
sätze:
1. Nach § 7 Nr. 3.1 BRTV besteht
die Möglichkeit, dem Arbeit-
nehmer Fahrtkostenabgeltung
zu leisten oder aber ihm die
kostenlose Beförderung mit
einem Fahrzeug zu gewähren.
Ein Anspruch des Arbeitneh-
mers auf Überlassung eines
Fahrzeugs folgt daraus nicht.
2. Die Tarifvertragsparteien ha-
ben dem Arbeitnehmer in § 7
Nr. 3.1 BRTV kein Wahlrecht
eingeräumt; vielmehr haben
sie nur dem Arbeitgeber ein
solches Wahlrecht eingeräumt.
3. Dem Arbeitgeber steht es frei,
dieses Wahlrecht dahingehend
auszuüben, den Arbeitnehmer
auf die Fahrtkostenabgeltung
zu verweisen und die bisherige
Fahrzeugüberlassung zu been-
den.
4. Es macht keinen Unterschied,
ob der Arbeitgeber von der
Fahrzeugüberlassung zur Ko-
stenerstattung wechselt oder
anders herum, weil der Bun-
desrahmentarifvertrag insoweit
keine Einschränkung erkennen
lässt.
5. Das Wahlrecht des Arbeitge-
bers ist Inhalt des Arbeits-
verhältnisses. Die Ausübung
des Wahlrechts überschreitet
die Grenzen des Arbeitsver-
hältnisses nicht und ändert
mithin nicht dessen Inhalt.
Der Ausspruch einer Ände-
rungskündigung ist für die
Ausübung des Wahlrechts
daher nicht erforderlich.
6. Es besteht kein Anspruch auf
Fahrzeugüberlassung aus
betrieblicher Übung. Eine
betriebliche Übung kann nur
dann entstehen, wenn es an
einer entsprechenden Rechts-
grundlage für die Gewährung
fehlt. Eine solche Rechts-
grundlage für eine kostenlose
Beförderung oder die Gewäh-
rung einer Fahrtkostenabgel-
tung enthält aber gerade § 7
Nr. 3.1 BRTV.
Das Urteil hat folgende
praktische
Auswirkungen:
Wahlrecht des Arbeitgebers
Das Landesarbeitsgericht Ham-
burg stellt in erfreulicher Deutlich-
keit klar, dass der Tarifvertrag kei-
nen Anspruch des Arbeitnehmers
auf Überlassung eines Fahrzeugs
zur unentgeltlichen Nutzung be-
gründet. Der Tarifvertrag sieht viel-
mehr zwei Alternativen für den Fall
vor, dass der Arbeitnehmer einen
Weg von mindestens 10 km von
seiner Wohnung zur Arbeitsstelle
zurücklegen muss. Danach kann
ihm zum einen die kostenlose Be-
förderung mit einem vom Arbeit-
geber gestellten Fahrzeug gewährt
werden. Zum anderen kann der
Arbeitgeber ihm aber auch Fahrt-
kostenabgeltung leisten. Welche
Alternative zum Tragen kommt, ist
allein Sache des Arbeitgebers.
Schon das Bundesarbeitsgericht hat
mit Urteil vom 9. März 1983 – 4
AZR 312/80 – entschieden, dass
die Tarifvertragsparteien dem Ar-
beitnehmer kein Wahlrecht einge-
räumt haben. Vielmehr hätten sie
nur dem Arbeitgeber ein solches
Wahlrecht eingeräumt.
In dem vom Bundesarbeitsge-
richt am 9. März 1983 entschie-
denen Fall hatte sich der Arbeit-
geber dazu entschieden, für sei-
ne Mitarbeiter einen Bus zur
Verfügung zu stellen, der diese zur
weit entfernten Baustelle bringen
sollte. Da der Anspruch auf die
pauschale Fahrtkostenabgeltung
bereits dann ausgeschlossen wer-
de, wenn die Möglichkeit der ko-
stenlosen Beförderung gegeben
werde, habe es der Arbeitgeber in
der Hand, diese Möglichkeit zu
schaffen und dadurch einen An-
spruch des Arbeitnehmers auf die
pauschale Fahrtkostenabgeltung
auszuschließen.
Wechsel zwischen Fahrkostenab-
geltung und kostenloser Beför-
derung zur Arbeitsstelle
Der Arbeitgeber ist nicht ein
für allemal an seine Wahl einer der
beiden Alternativen gebunden. Es
besteht vielmehr die Möglichkeit,
dass er von der Fahrzeugüberlas-
sung zur Fahrtkostenabgeltung oder
umgekehrt wechselt.
Der Arbeitgeber kann sich für
eine Fahrtkostenabgeltung ent-
scheiden und eine kostenlose Be-
förderung ablehnen oder beenden.
Das Landesarbeitsgericht hat fest-
gestellt, dass es sich bei der Fahrt-
kostenabgeltung nach der Syste-
matik von § 7 Nr. 3.1 BRTV um den
Grundsatz handele, während die
kostenlose Beförderung den Aus-
nahmefall darstelle. Insbesondere
angesichts dieses Regel-Ausnahme-
Verhältnisses stehe es der Beklag-
ten im vorliegenden Fall frei, ihr
Wahlrecht dahingehend auszuüben,
den Kläger auf Fahrtkostenabgel-
tung zu verweisen und die Fahr-
zeugüberlassung zu beenden.
Nur dann, wenn die Arbeits-
vertragsparteien die kostenfreie
Nutzung eines Firmenfahrzeugs
ausdrücklich vereinbaren und die
tarifliche Möglichkeit einer Fahrt-
kostenabgeltung für die Zukunft
ausdrücklich ausschließen, besteht
ein Überlassungsanspruch des Ar-
beitnehmers auf ein Fahrzeug und
dessen kostenfreie Nutzung. Nur
in einem solchen Ausnahmefall
könnte der Arbeitgeber die Über-
lassung eines Fahrzeugs nur im
Wege der Änderungskündigung
beenden. Wird eine solche Verein-
barung nicht ausdrücklich getrof-
fen, gilt die tarifvertragliche Re-
gelung. Gewährt der Arbeitgeber
ein Fahrzeug zur kostenlosen Nut-
zung, räumt ihm § 7 Nr. 3.1 BRTV
die Möglichkeit ein, jederzeit zu
einer Fahrtkostenabgeltung zu
wechseln.
Keine betriebliche Übung
Die jahrelange Gewährung ei-
nes Firmenfahrzeugs oder die jah-
relange Gewährung von Fahrtko-
stenabgeltung lässt keine betrieb-
liche Übung entstehen, die den
Arbeitgeber für die Zukunft bin-
det. Eine betriebliche Übung kann
nur dann entstehen, wenn keine
Rechtsgrundlage für einen An-
spruch des Arbeitnehmers besteht.
Bei der Gewährung einer unentgelt-
lichen Beförderung oder einer
Fahrtkostenabgeltung übt der Ar-
beitgeber aber gerade sein Wahl-
recht auf der Rechtsgrundlage des
§ 7 Nr. 3.1 BRTV aus. Ein Wechsel
zwischen den Alternativen bleibt
ihm deshalb möglich.
Schützen & Erhalten · Dezember 2006 · Seite 27